Namen und Ereignisse prägen Württembergs Leichtathletik-Geschichte
Interessante Note am Anfang: Der WLV und der VfB Stuttgart wurden in Bad Cannstatt im selben Hotel „Concordia“ gegründet, der VfB am 4. Dezember 1912 aus dem FV 1893 Stuttgart und dem Kronenklub Cannstatt, der WLV am 21. Januar 1951 aus den Verbänden Nordwürttemberg und Südwürttemberg.
Länderkämpfe und eine dreifache Olympiasiegerin
70 Jahre WLV liefern für den Verband Anlass genug für einen stolzen Rückblick auf eine bewegte Geschichte. Noch im Gründungsjahr legt der WLV beim ersten Nachkriegs-Länderkampf gegen Italien mit dem legendären Mittelstreckler Mario Lanzi, großer Rivale des Weltrekordläufers Rudolf Harbig, den Grundstein als Verband für herausragende Großveranstaltungen. Knapp 50.000 Zuschauer kommen damals ins Neckarstadion. 1961 begeistert die dreimalige Olympiasiegerin Wilma Rudolph (USA) mit einem 100 Meter-Weltrekord (11,2 Sek.) bei einem Einlagelauf im Rahmen des Männer-Länderkampfes Deutschland-USA vor insgesamt 90.000 Zuschauern an zwei Tagen, genauso wie Hürden-Weltrekordler Martin Lauer oder Sprinter Manfred Germar. 85.000 Zuschauer kommen 1965 zum erstmals ausgetragenen Europapokal nach Stuttgart und sehen am Ende begeisterte Athleten aus Ost und West, die Hand in Hand das Neckarstadion verlassen.
Denkwürdig: Europacup und Erdteilkampf
Dies war die letzte Großveranstaltung auf der roten Aschenbahn, denn 1969 wird beim Erdteilkampf Europa gegen Amerika in Stuttgart die erste Kunststoffbahn (die zweite in Europa nach Zürich) eingeweiht. Es ist der Beginn des Siegeszuges der Kunststoffbahnen. Doch die Länderkämpfe fallen den Meetings zum Opfer.
Für eine Sternstunde im Neckarstadion sorgt Hildegard Falck bei den Deutschen Meisterschaften 1971. Über 800 Meter läuft sie bei großer Hitze mit 1:58,45 Minuten Weltrekord und verbessert die alte Marke um zweieinhalb Sekunden („Das war ein tolles Gefühl“). Ein Jahr später wird sie in München Olympiasiegerin.
EM 1986 und WM 1993 Festtage für die Leichtathletik
Die Europameisterschaften 1986 in Stuttgart mit 1.100 Athleten aus 32 Ländern und insgesamt 280.000 Zuschauern werden in Sachen Begeisterungsfähigkeit und Fairness nur noch durch die Weltmeisterschaften 1993 an gleicher Stätte überboten. Hürdenläufer Harald Schmid wird zum fünften Mal Europameister. Die Schwabenwelle („La Ola“) wird kreiert, sie macht die EM zu Feiertagen für Europa. „Die EM hatte große Auswirkungen auf die Leichtathletik im Lande, beispielsweise auf weitere Stadionbauten“, zeigte sich der damalige WLV-Ehrenpräsident Alfred Jetter von den Ereignissen angetan.
Bei der WM im umbenannten Gottlieb-Daimler-Stadion waren trotz Weltstars wie Carl Lewis, dem Weltrekord laufenden Colin Jackson, Diskus-Weltmeister Lars Riedel, Zehnkampf-Publikumsliebling Paul Maier, den Sprint-Diven Gail Devers und Merlene Ottey, DDR-Vorzeigefrau und Weitsprungsiegerin Heike Drechsler, die 800 Meter-Läuferin Maria Mutola auf dem Weg zu ihrem zehnten WM-Titel, der ungefährdeten Weitsprung-Legende Mike Powell oder den kritisch beäugten weil dopingverdächtigen chinesischen Läuferinnen die Leichtathletik selber die eigentliche Gewinnerin. 585.000 Zuschauer pilgerten ins Daimler-Stadion, TV-Bilder wurden von 3,5 Milliarden Menschen in rund 200 Länder gesehen. Die Botschaft einer von Stuttgart ausgehenden weltumspannenden WM: Athleten wurden unabhängig von Hautfarbe, Nationalität und Geschlecht angefeuert. Fairplay in Reinform.
Patenschaftsprogramm als Brücke zur Welt
Schon vor der WM hatte das Patenschaftsprogramm weltweit Werbung für Stuttgart und den WLV gemacht. 31 Städte und Kommunen hatten Patenschaften für 34 Entwicklungsländer aus allen fünf Kontinenten übernommen und so eine Brücke zur Welt geschlagen. Trainingsaufenthalte, Gerätelieferungen und ein Sportfest initiierten einen nachhaltigen Geist.
Ein gutes Jahrzehnt später war der Glanz verblasst: Nach drei World Athletics Finals (2006 bis 2008) beendete die Tschechin Barbara Spotakova mit dem bis heute gültigen Speerwurf-Weltrekord (72,28 m) die große Leichtathletik-Ära Stuttgarts. Schon am Morgen danach musste der grüne Kunststoff den Baggern weichen. Das Donaustadion in Ulm übernimmt danach für fünf Auflagen der Deutschen Meisterschaften ab 2003 eine Ersatzrolle in Württemberg.
Weltbestes Hallenmeeting: der Sparkassencup
Wenige Meter neben dem Neckar- bzw. Daimler-Stadion wurde in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle eine andere Erfolgsgeschichte geschrieben. Der Sparkassencup bot 25 Jahre lang in der stets mit 8.000 Zuschauern ausverkauften Halle das weltbeste Hallenmeeting. 12 Weltrekorde wurden erzielt, das „Who is who“ der Leichtathletik ist in Stuttgart am Start. Olympiasieger und „Schwabenpfeil“ Dieter Baumann lässt sich hier feiern. Diese Erfolgsgeschichte ist eng verknüpft mit den Meetingmachern Fredy Schäfer und Alain Blondel. Hinter dem Erfolg stehen die Sparkassen als großzügige Sponsoren.
Eberstadt und Bernhausen – beides ein Mythos
Leichtathletik-Höhepunkte gab es in Württemberg auch außerhalb der Landeshauptstadt. Vierzig Jahre lang setzten die weltbesten Hochspringer im Weindorf Eberstadt (bei Heilbronn) zu Höhenflügen an: Olympiasieger Dietmar Mögenburg, Europarekordler Carlo Tränhardt, Weltrekordler Javier Sotomayor, Olympiasieger Stefan Holm und Weltmeister Mutaz Barshim und viele mehr flogen inmitten der Weinberge. Mit zwei Siegen adelte sich Vize-Weltmeisterin Ariane Friedrich unterm Eberfürst. Der Sprung übers Telefonhäuschen (2,30 Meter) oder die Zimmertür (zwei Meter) war das Markenzeichen des Meetings, ein Religionslehrer (Peter Schramm) der Macher und Motor.
Davor mauserte sich Bernhausen mit Weltrekorden zum Mehrkampf-Mekka. Eva Wilms erzielt 1977 beim Länderkampf gegen die UdSSR einen Fünfkampf-Weltrekord. Guido Kratschmer sorgte 1980 aus Verärgerung auf den Olympiaboykott für einen Weltrekord im Zehnkampf (8.649 Punkte), Jürgen Hingsen setzte 1983 mit 8.825 Punkten vor 8.000 Zuschauer noch einen drauf. „Mehrkampf in Bernhausen war emotionale Leichtathletik“, sagte Kratschmer damals.
Sindelfingen und Kornwestheim einen Schritt voraus
In 100 Jahren seiner Vereinsgeschichte setzte auch der VfL Sindelfingen Maßstäbe im WLV: mit 111 Deutschen Meister-Titeln, erfolgreichen Sprinterinnen wie Heidi-Elke Gaugel, Ulrike Sarvari oder Nadine Hildebrand, mit den Hallen-Europameisterschaften (1980) und den Senioren-Weltmeisterschaften (2004) im Gaspalast und 24 Auflagen des Internationalen Hallensportfests (IHS) von 1979, bei dem sieben Hallenweltrekorde erzielt wurden. Der von Colin Jackson über 60 Meter Hürden (7,30 Sek., 1994) steht noch heute.
Aushängeschilder: Honz, Haaf, Unger, Ilg, Wentz, Baumann und viele mehr
Zu den erfolgreichsten Vereinen zählte Salamander Kornwestheim mit zahlreichen Olympiateilnehmern wie Sprinter Tobias Unger, Weitsprung-Europameister Dietmar Haaf und Hürden-Vize-Europameisterin Karin Frisch. Aushängeschilder des WLV waren zudem 400 Meter-Europameister Karl Honz, Olympia-Bronzemedaillengewinner mit der 4x400 Meter-Staffel Helmar Müller, Hindernis-Weltmeister Patriz Ilg von der Ostalb, Zehnkampf-Vize-Weltmeister Siggi Wentz und Olympiasieger Dieter Baumann.
In Corona-Zeiten kommen neun Deutsche Meister aus dem WLV-Verbandsgebiet: Alina Reh, Stefanie Dauber (beide SSV Ulm 1846), Elena Burkard, Timo Benitz (beide LG farbtex Nordschwarzwald), Hanna Klein, Gregor Traber (beide LAV Stadtwerke Tübingen), Carolina Krafzik, Constantin Preis (beide VfL Sindelfingen) und Alina Kenzel (VfL Waiblingen) sind eine starke sportliche Visitenkarte.
Olympiasieger aus Baden-Württemberg, EM in Ulm?
WLV-Präsident Jürgen Scholz, der zuletzt die Zusammenführung der beiden Verbände Württembergs und Badens zur Leichtathletik Baden-Württemberg maßgeblich vorantrieb, hat zum 70. Verbandsjubiläum eine Vision: „Noch ein oder zwei Olympiasieger aus Baden-Württemberg und irgendwann eine Europameisterschaft im renovierten Ulmer Donaustadion ist mein Traum“.
WLV liefert Impulse für die deutsche Leichtathletik
Neben den zahlreichen sportlichen und organisatorischen Leistungen und Ereignissen gab es in den letzten 70 Jahren viele Anstöße und Impulse aus dem WLV für die Entwicklung der Leichtathletik in Deutschland. Alfred Jetter (Tübingen) hat bereits in den 50er Jahren mit der Einführung der Mehrkampfnadel die Entwicklung der Leichtathletik in die Breite, die bis heute viele Menschen an die Sportart binden konnte, initiiert. Der WLV - ein Breitensport-Verband.
Im Bereich der Lehre und Bildung hat der langjährige DLV- und WLV-Vizepräsident Fred Eberle (Schwäbisch Gmünd) beim Kongress „Leichtathletik in Schule und Verein auf dem Prüfstand“ (1990) eine Entwicklung für eine neue Gestaltung der Kinder-Leichtathletik angestoßen, die maßgeblich in eine pädagogische Konzeption einer kindgemäßen Leichtathletik gemündet hat. Zentraler Aspekt: Kinder-Leichtathletik sollte keine Reduktion der Erwachsenen-Leichtathletik darstellen.
Beispielhaft ist diesbezüglich auch der Nikolauslehrgang für Trainer, Übungsleiter und Lehrer in Schwäbisch Gmünd, der seit den Olympischen Spielen 1972 auf der Ostalb stattfindet. WLV-Jugendwart Günther Frey und Wolfgang Schiele (Ellwangen) als Landesbeauftragter bei „Jugend trainiert für Olympia“ haben diese Neuorientierung in der Schüler- und Jugend-Leichtathletik maßgeblich vorangetrieben. Günter Mayer (Bettringen) hat mit der Einführung der neuen Bundesjugendspiele und dem Schulsportplan Leichtathletik in Baden-Württemberg maßgeblich an der Umsetzung dieser neuen Ideen in der der Praxis der Kinder- und Jugendleichtathletik mitgewirkt. Der WLV - ein Bildungsverband.
Auch bei der Entwicklung der Volkslaufszene war Württemberg maßgeblich beteiligt. Harold Gähr (Frickenhausen) forcierte in den 70er Jahren mit großem Einsatz die Volkslaufbewegung, die 2019 mit 318 Volksläufen und 225.000 Teilnehmer in Württemberg ihren Höhepunkt erreichte. Der WLV - ein Verband für die Laufbewegung.
Der WLV hat sich zu einem sportlich und organisatorisch erfolgreichen, aber auch impulsgebenden Verband für die deutsche Leichtathletik in Sachen Breite, Bildung, Lehre, Kinderleichtathletik und Volksläufer entwickelt.