Jackie Baumann: Die Verletzung hat sie verändert
Ein beeindruckendes Portrait auf<link https: www.bwleichtathletik.de home news detail jackie-baumann-die-verletzung-hat-sie-veraendert _blank external-link-new-window internen link im aktuellen> leichtathletik.de von Alexandra Dersch
Irgendetwas ist anders. Jackie Baumanns Stimme ist die gleiche wie immer, auch optisch sieht sie aus, wie man sie kennt. Aber die Athletin, die Läuferin, sie hat sich verändert. „Ich bin ein anderer Mensch geworden“, sagt die 23-Jährige.
Ein Jahr voller Rückschläge liegt hinter der 400-Meter-Hürdenläuferin. Was mit einem Muskelfaserriss im Januar 2018 begann, entwickelte sich weiter zu massiven Fußproblemen im Frühjahr, die sie schlussendlich zur Saisonabsage zwangen, und mündete mit einem Wadenbeinbruch im September im Krankenhaus. „Ein Seuchenjahr“, sagt die Athletin der LAV Stadtwerke Tübingen.
„Bis vor diesem Jahr wusste ich gar nicht, was es heißt, verletzt zu sein“, sagt Jackie Baumann. Dinge wie Saisonabsage, Alltagsschmerzen oder auch die Aussagen anderer Athleten, die Karriere so lange es geht zu genießen, all das hatte keine tiefere Bedeutung für sie. In ihrem Leben vor der Verletzungspause.
2018 folgte eine schlechte Nachricht der nächsten
Doch dann begann das Jahr 2018. Und eine schlechte Nachricht folgte auf die andere. „Sobald ich dachte, jetzt geht es wieder aufwärts, kam der nächste Tiefschlag.“ Der härteste, da langwierigste, waren die anhaltenden Fußprobleme. Was als kleines Zwicken in der Achillessehne begann, weitete sich so sehr aus, dass sie im Juni keinen Schritt mehr machen konnte. „Ich bin von Arzt zu Arzt getingelt, habe so viele unterschiedliche Diagnosen und Ratschläge bekommen, doch nichts hat den entscheidenden Erfolg gebracht.“ Die Odyssee, die physisch und psychisch so viel Kraft kostete, sie zog sich hin bis zum Januar diesen Jahres.
„Dann habe ich einen alternativen Weg eingeschlagen“, erzählt Jackie Baumann und berichtet von einem Biomechaniker aus der Schweiz, der ihr die Füße „neu eingestellt“ habe. „Seit vier Wochen bin ich endlich wieder schmerzfrei“, sagt sie. Die Schmerzen, die zunächst als Entzündung der Achillessehne diagnostiziert wurden, rührten demnach vielmehr von Problemen in Hüfte und Wade.
Alternativer Weg brachte Wende
Seitdem hat die mehrfache Deutsche Meisterin ihr Leben in einigen Bereichen neu geordnet. In der Ernährung hat sie einige Sachen umgestellt, um Mängel auszugleichen und aufzufangen. In ihre Gymnastik baut sie neue Übungen ein, die dem Fuß gut tun („Er braucht viele Streicheleinheiten“), und auch ihre Schlafgewohnheiten hat sie angepasst und schläft seitdem in einer Position, in der Fuß und Wade besser durchblutet werden. „Ich tue das, wo ich fühle, es tut mir gut.“
Es ist eine neue Art des Reinhörens in ihren Körper, die Jackie Baumann im vergangenen Jahr gelernt hat. Und auch die Verinnerlichung eines Ratschlags ihres Vaters, Dieter Baumann, der in dieser harten Zeit noch am ehesten zu ihr durchdringen konnte. Er riet ihr: „Hör auf dich. Hab Geduld mit dir. Und sieh jedes Training als wertvoll an.“ Was sie damals nur schwer verstehen konnte, ist ihr heute umso bewusster.
Kopf fährt Achterbahn
„Ich war in dieser Zeit nicht fair zu meinem Umfeld, das weiß ich“, sagt Jackie Baumann rückblickend. „Weil ich so unzufrieden mit mir, mit dieser Situation war. Ich konnte diese Schmerzen nicht kontrollieren, nichts dagegen tun. Es war schlimm für mich.“ Das Umfeld, es hat ihr längst verziehen. Jetzt muss nur noch Jackie Baumann sich und ihrem Körper verzeihen und lernen, neu zu vertrauen.
„Wenn ich an Wettkämpfe denke, dann fahre ich aktuell in meinem Kopf Achterbahn“, sagt sie. „Es gibt Tage, da freue ich mich unbändig drauf und will am liebsten direkt los. An anderen Tagen will ich mich im Bett verkriechen und von Wettkämpfen nichts wissen.“ Sie weiß, wenn sie im Frühsommer wieder im Startblock sitzt, wird sie ein anderer Mensch sein als vor dieser Verletzungsphase.
Hoffnung auf ersten Wettkampf im Juni
„Ich habe viel Demut gelernt“, sagt die Olympiateilnehmerin von 2016. „Es gab Zeiten im letzten Jahr, da wollte ich nicht mehr. Da habe ich mir gedacht, ich habe alles gesehen als Athletin, was es zu sehen gibt. War bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften. Klar, ich hätte gerne mehr erreicht, aber unterm Strich war es eine gute Karriere. Gerade in Phasen, in denen ich nicht weiterwusste, so verzweifelt war, weil es keine klare Diagnose für meine Schmerzen gab, da hatte ich diese Gedanken ans Karriere-Ende.“ Diese Gedanken – sie sind nun weit weg. „Ich habe mich durchgebissen, weil ich fühle: Ich bin noch nicht fertig. Da ist noch was in mir“, sagt sie.
Der Kampf, er hat sich gelohnt. Denn: „Jetzt bin ich seit vier Wochen ganz schmerzfrei“, sagt Jackie Baumann. Im Alltag. Aber eben auch im Training. Schmerzfrei zu trainieren, das weiß sie heute ganz anders zu schätzen. „Jedes Training ist für mich heute ein Geschenk.“ Drei Wochen Trainingslager in Südafrika liegen hinter ihr. Und jeder Tag, an dem sie schmerzfrei trainieren kann, bringt sie näher an ihre frühere Topform heran, aber auch wieder hin zu einem Körpergefühl, mit dem sie sich bereit für Wettkämpfe fühlt. „Mein Ziel ist es, am 22. Juni beim Soundtrack in Tübingen über 400 Meter Hürden am Start zu stehen“, sagt Jackie Baumann. Als neue Athletin. Die weiß: „Jedes Training ist kostbar.“