Erdteilkampf in Stuttgart: kein Tag wie jeder andere
Bemerkenswert zu damaliger Zeit inmitten des kalten Kriegs: In der europäischen Mannschaft waren Sportler aus Ost und West gemeinsam vertreten, auch aus beiden Teilen Deutschlands. Die meisten Autogramme musste Weitspringer Bob Beamon geben, der ein Jahr zuvor bei den Olympischen Spielen von Mexiko sagenhafte 8,90 Meter gesprungen war. Seine Autogramme in Stuttgart zeichnete er denn auch mit "Bob Beamon 8,90". Am Ende hatten die Europäer die Nase vorn. Rechnet man alle Wettkämpfe zusammen, siegten die Europäer gegen die Amerikaner mit 194 zu 151 Punkten.
Für den Württembergischen Leichtathletik-Verband war die Ausrichtung des Erdteilkampfs ein großer Schritt nach vorne. Der Ruf als perfekter Organisator von bedeutenden Leichtathletikereignissen eilte den Schwaben nun weltweit voraus. Diese Veranstaltung brachte die Mitarbeiter*innen des Verbandes – damals noch fast ohne hauptamtliche Strukturen – aber an die Grenzen der Belastbarkeit. Die Berichte der maßgeblichen Organisatoren im WLV-Jahrbuch 1969, einige können am Ende dieses Textes nachgelesen werden, legen davon eindrucksvoll Zeugnis ab. Dr. Günther Currle, damals Pressewart des WLV, stöhnte: „Jetzt weiß ich, dass die schlichte Bezeichnung Pressewart etwas mit „pressen“ zu tun haben muss: „Ausgequetscht wie eine saftlos gepresste Zitrone ließen mich die Erdteil-Kampftage zurück, das schicke Wort vom Erdteilkampfgeschädigten fällt mir ein. Nie wieder Erdteilkampf – ein Schwur, den man leicht halten kann, denn in die Verlegenheit werden wir nicht mehr kommen, oder?“
Auch für die Landeshauptstadt Stuttgart war der Erdteilkampf ein Meilenstein auf dem Weg zur „Sporthauptstadt“. Das aus dieser und anderen Veranstaltungen gewonnene Renommee der Neckar-Metropole legte den Grundstein für die erfolgreichen Bewerbungen um spätere Veranstaltungen wie die Leichtathletik-EM 1986 und die WM 1993. Die Ausrichtung des Erdteilkampfes hat sich die Stadt allerdings auch etwas kosten lassen. 1,4 Millionen D-Mark kostete die neue Kunststoff-Laufbahn der Marke Tartan, die erste Kunststoffbahn in der Bundesrepublik überhaupt, und eine weitere Million wurde in eine Flutlichtanlage investiert, die auch Farbfernseh-Übertragungen zuließ. Damit war das Neckarstadion so gut aufgestellt, dass man den Mitbewerber Augsburg im Bewerbungsverfahren klar hinter sich lassen konnte.
In den beiden Teams standen Athletinnen und Athleten aus 21 Ländern Europas und Amerikas. Die USA stellten wegen ihres überragenden Standards das Gros der amerikanischen Athleten, die unter der Bezeichnung "Western Hemisphere" antraten; nur ein paar Repräsentanten kamen aus Kanada, Mexiko und Jamaika. Im europäischen Team standen Vertreter aus insgesamt 17 Ländern.
Der Erdteilkampf war die größte Leichtathletik-Veranstaltung in Deutschland seit den Olympischen Spielen in Berlin 1936. Der Sport stand jedoch (schon oder gerade damals) nicht immer im Mittelpunkt. Die Politik spielte im Vorfeld eine große Rolle. So gab es um die Teilnahme der Athleten aus den Staaten des Ostblocks ein langes hin und her. Die Sowjetunion boykottierte letztendlich in der letzten Woche den Stuttgarter Erdteilkampf, weitere Länder des Ostblocks wie Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien versammelten sich jedoch hinter der Europafahne. Auch die DDR, die zunächst Terminschwierigkeiten vorschützte, beteiligte sich schließlich im Bewusstsein, mit 13 Sportlern den größten Mannschaftsteil zu stellen, obwohl sie in Stuttgart ihre Fahne nicht hissen durfte. Dafür war es den Vertretern der DDR als einzigen vorbehalten, nicht im weißen Trikot mit der Aufschrift „Europe“, sondern in Blau mit großen, weißen DDR-Buchstaben anzutreten. Die Bundesrepublik wartete mit acht Athleten, samt und sonders Läufer, sowie zwei Athletinnen auf.
Bewegte Bilder von diesem Ereignis findet man in Form der Wochenschau „Die Zeit unter der Lupe 1019/1969“ vom 5. August 1969 in der Filmothek des Bundesarchivs (Beginn bei 4:10 Minuten)
Unschöne Szenen gab es aus politischen Gründen auch. Die „Zeit“ berichtet darüber wie folgt: Als „Republikflüchtling“ Jürgen May im 5.000 Meter-Lauf gegen den Knirps Lindgren im Spurt unterlag, sprang sein ehemaliger Kamerad Jürgen Haase, der 10.000 Meter-Sieger, vor Freude in die Höhe. Dabei hatte er sich damals bei den Europameisterschaften in Budapest des gleichen "Verbrechens" wie May, von einer westdeutschen Sportschuhfabrik eine größere Summe anzunehmen, schuldig gemacht. Aber Haase streute Asche aufs Haupt und bereute "mea maxima culpa", er erhielt Vergebung, während der nicht linientreue May in Acht und Bann getan wurde, so dass ihm nur die Flucht in die Bundesrepublik blieb. Europameister Jürgen Haase musste schon im 10.000 Meter-Lauf ein Pfeifkonzert quittieren, weil er den Belgier Roelants in den letzten Runden nicht mehr bei der Führungsarbeit unterstützte. Vorher war Haase von dem kritischen, aber objektiven Publikum noch lautstark angefeuert worden.
Auch 1969 bereits ein vieldiskutiertes Thema: die fernsehgerechte Aufbereitung solcher Top-Events. Auch dazu sei an dieser Stelle aus der „Zeit“ zitiert: „Das Programm wurde fernsehgerecht geschneidert, was für den Besucher im Stadion bedeutete, dass es jeweils auf knappe zwei Stunden zusammengepresst wurde. Eine Konkurrenz jagte die andere – keine Verschnaufpause, keinen Augenblick der Besinnung. Oft waren drei oder vier Übungen gleichzeitig im Gange. Für die Fernsehkameras war dies ein gefundenes Fressen, aber selbst für den fachkundigen Zuschauer im Stadion war es eine einzige Überforderung. Die Teleobjektive vermögen selbst ein verräterisches Zucken der mimischen Muskulatur eines nervösen Athleten wahrzunehmen, der Mann im Stadion aber sitzt oft 100 Meter und weiter vom Brennpunkt des Geschehens entfernt. Wer sich als Veranstalter im Sport dem Fernsehen verschreibt, kann nicht nur eine beträchtliche Summe wohlgefällig einstreichen, um seinen Etat auszugleichen, sondern er muss sich auch gefallen lassen, dass der Geldgeber mehr oder weniger gebieterisch detaillierte Forderungen stellt.“
Aus sportlicher Sicht war der Erdteilkampf ein voller Erfolg für das europäische Team. Im Stuttgarter Neckarstadion siegten die europäischen Leichtathleten über die Amerikaner. Die Männer gewannen mit 113 zu 97 Punkten, die Frauen gar mit 81 zu 54 Punkten. Manche waren mit der Erklärung dieses überraschenden Erfolges der Vertreter des Alten Kontinents schnell bei der Hand. Die Amerikaner, seit der Mondlandung mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit umgeben, hätten, so hieß es, nur die zweite Garnitur, zumindest aber eine sehr schwache Mannschaft geschickt. Zwar fehlten einige der US-Stars wie die Olympiasieger Willie Davenport (110 Meter Hürden), Bob Seagren (Stabhochsprung) und Al Oerter (Diskuswurf) und Weitsprung-Weltrekordler Bob Beamon wurde im Neckarstadion mit für ihn indiskutablen 7,75 Meter nur Letzter, aber schwach war das amerikanische Team deshalb noch lange nicht. Der Sieg der Europäer lag nicht an der Schwäche der Amerikaner, sondern an der eigenen Stärke. Verschenkten sie doch noch Punkte dadurch, dass ausgerechnet die beiden bundesdeutschen Sprinter Wucherer und Eigenherr den Staffelstab fallen ließen.
Die bundesdeutschen Teilnehmer zeigten sich vor 35.000 Zuschauern am ersten Wettkampftag und 45.000 Zuschauern am zweiten in unterschiedlicher Verfassung. Gerhard Hennige siegte über 400 Meter Hürden in 50,0 Sekunden gegen den favorisierten Olympiazweiten von Mexico, Ralph Mann (ebenfalls 50,0 Sekunden). Europameister Bodo Tümmler konnte über 1.500 Meter nicht um die Sieg mitkämpfen und wurde in 3:39,3 Minuten Dritter. Dieselbe Platzierung holte Gerhard Wucherer in 10,4 Sekunden über 100 Meter, Günther Nickel wurde Zweiter über 110 Meter Hürden in 13,5 Sekunden genauso wie Jürgen May in 13:40,8 Minuten über 5.000 Meter, während Jochen Eigenherr über 200 Meter über Platz vier in 20,8 Sekunden nicht hinauskam. Einen überlegenen Sieg gab es im Diskuswurf der Frauen durch Liesel Westermann mit 62,16 Meter. Wesentlich knapper ging es im Weitsprung der Frauen zu; am Ende setzte sich aber Heide Rosendahl (6,48 Meter) mit zwei Zentimetern Vorsprung durch.
Lesen Sie hier persönliche Berichte zum Erdteilkampf aus dem WLV-Jahrbuch 1969
Alfred Jetter: Kein Tag wie jeder andere...
Frühmorgens am 30.Juli. Ein Rauschen weckt mich, es regnet. Es ist zum Weinen. Wochenlang drückend warm und jetzt der Nieselregen. Seit Monaten haben wir auf diesen Erdteilkampf hingearbeitet, in den letzten Wochen Abend für Abend bis spät nach Mitternacht, neben dem Beruf, neben den württembergischen Meisterschaften, neben anderen Aufgaben. Vorsprachen bei der Regierung, beim Oberbürgermeister, bei Firmen. Viele Verhandlungen liegen hinter uns, wir haben überall Unterstützung gefunden, die Chefs waren großzügig, die Domestiken manches Mal unverfroren in ihren Kartenwünschen. Auch die Ankunft der Amerikaner ist überstanden, ihre Wünsche, Forderungen, von denen wir zuvor nichts wussten, die ersten Pannen. Umdisponierungen, das Ankommen weiterer Ehrengäste, die Telefonate und Interviews, die ersten Beschwerden und stille oder laute Vorwürfe, die Empfänge, die Pressekonferenzen, manche ungeduldig und unhöflich vorgetragene Forderung. Nur Ruhe bewahren, Ruhe. Hundertmal durchgesprochene Dinge, müssen nochmals erläutert werden, Dispositionen sollen nochmals umgeworfen werden, weil wieder ein weiterer hoher Mitarbeiter noch gefragt werden will. Um 17 Uhr ins Stadion. Überall noch Wünsche, Fotografen lauern wie immer, verfolgen mich auf Schritt und Tritt, möchten in den Innenraum, ein Kampfrichter will noch eine Armbinde haben, ein Ehrenkarteninhaber möchte für Frau und Söhne auch noch Ehrenkarten haben, ein anderer hat seine Karte vergessen. Endlich, wenige Minuten vor Beginn, die Kapelle sitzt auf falschem Platz, muss umdirigiert werden, ein Zuschauer beschwert sich über schlechten Platz, ein Pressemann beschimpft WLV und DLV, weil ihm das Fernsehen die Sicht nimmt, Fernsehen beanstandet Firmenreklame auf einem Sportgerät, Ansager monieren Fehlen von Helfern, Bundespräsident kommt, Hammerwerfer beschädigt fast die Tartanbahn, nochmals Mahnung an Kampfrichter und Ordner, besonders aufzumerken. Endlich Einmarsch, Reden, Beginn. Blick in die Zuschauerwälle. Der Regen hat Lücken verursacht. Rasch zum Eingang, kommen noch Zuschauer? Bekannte drücken die Hand, sagen, dass es auf der Alb in Strömen geregnet hat. Erste Siegerehrung, die zur Ehrung eingeteilte Prominenz erscheint rechtzeitig, Fanfare ist ein wenig zu lang, aber gut. Ansage etwas schleppend. Wie immer anfangs Unruhe überall, es muss sich einspielen. Programmverkäufer will mich sprechen, beklagt sich über Konkurrenz, wieder ein paar tausend D-Mark weniger Einnahmen, ein Fotograf blickt mich bittend, vorwurfsvoll an. Blick in die Räume der Post, ist alles in Ordnung, der Rote-Kreuz-Mann sucht mich, 1.500 Meter-Läufer Liquori liegt im Verbandsraum, kann sich nicht verständigen, hole amerikanischen Coach heran, Krankenwagen kommt, wird abgefahren. Wolkenbruch, Wettkampfstopp. Eile zur Musik, Kapelle soll spielen, aber vorm Regen auf die Tribüne geflüchtete Zuschauer lassen keinen Raum für die Kapelle. Endlich Ende, im Hotel noch nach Mitternacht Besprechungen, Besprechungen. Endlich ins Bett. Um drei Uhr Alptraum, stimmt unser Finanzierungsplan, ist es richtig, dass wir schon längst, wie immer betont, aus dem Schneider sind? Bis vier Uhr Überprüfen jeder Position. Nein, es kann nichts passieren, auch wenn am heutigen Tag kein Zuschauer mehr kommt. Schlafen, um sechs Uhr Anruf. Der letzte Wettkampftag hat begonnen.
Alfred Jetter war 1. Vorsitzender des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes von 1965 bis 1981
Karl Mangold: Wir haben noch einiges dazugelernt!
„Das sportliche Ereignis“ der Württembergischen Leichtathletik überhaupt - wohl seit ihrem Bestehen - brachte das Jahr 1969 mit dem erstmals in Europa und insgesamt erst zum zweiten Mal durchgeführten Erdteilkampf Amerika-Europa.
Hatte es schon einiger Anstrengungen bedurft, diesen einmaligen leichtathletischen Wettkampf nach Deutschland und nach Stuttgart zu bringen, so waren diese Anstrengungen wohl ein Kinderspiel gegenüber dem, was die Organisation und die Durchführung des Wettkampfes für Arbeit, Aufgaben und Schwierigkeiten mit sich brachte.
Im harten Wettkampf mit dem ebenfalls aussichtsreichen Bewerber Augsburg erhielt Stuttgart im Hinblick darauf, dass es sich verpflichten konnte, eine Tartankunststoffbahn zu bieten, schließlich vom Verbandsrat im Jahre 1968 in Berlin den Zuschlag. Dieser Zuschlag bedeutete jedoch nicht mehr und nicht weniger als ein Jahr Arbeit des Württembergischen Leichtathletikverbandes unter Hintanstellung seiner eigenen Verbandsarbeit. Dabei wurde mit Recht die Frage gestellt, ob sich die Organisation und Übernahme eines solchen weltweiten Kampfes lohne. Vom finanziellen Erfolg her wohl nicht. Vom ideellen Erfolg her jedoch auf jeden Fall! Es gab im Jahre 1969 kein leichtathletisches Ereignis in der Bundesrepublik, das eine solche Ausstrahlungskraft für die Leichtathletik und hier insbesondere in Württemberg hatte, als eben dieser Erdteilvergleichskampf. Und ganz gewiss brachte er auch der württembergischen Leichtathletik nicht nur neue Anhänger und Freunde, sondern in der Jugend neue begeisterte „Aktive“. Dies allein aber schon rechtfertigt nach meiner Auffassung die Arbeit und Mühen dieses Wettkampfes.
War man in Stuttgart bisher aufgrund der schon durchgeführten drei deutschen Meisterschaften nach 1945, der vielen Länderkämpfe und als bisherigem Höhepunkt des Endkampfes um den Europa-Pokal einiges gewöhnt, so konnte man bei dieser Begegnung am 30. und 31. Juli 1969 im Neckarstadion doch noch manches dazulernen! Dies gilt insbesondere für die Unterbringung und die Regelung der Trainingsmöglichkeiten vor dem Wettkampf, die Schulung der Kampfrichter, den Einsatz der Attachés und sonstigen Betreuer, sowie den weltweiten Ansturm der Presse, des Rundfunks und Fernsehens, sowie der in solcher Zahl wohl noch nie aufgetretenen „Ehrengäste“.
Es hat sich bei der Durchführung dieses Wettkampfes gezeigt, dass ohne das noch rechtzeitig vorher fertiggestellte Leistungszentrum hinter dem Neckarstadion mit seinen modernen Trainingsmöglichkeiten wohl allein mit den bisher in Stuttgart bekannten Übungsplätzen den Anforderungen, insbesondere der amerikanischen Mannschaft, kaum hätte genügt werden können. Es hat sich aber andererseits auch gezeigt, dass es unbedingt erforderlich ist, in unmittelbarer Nähe des Neckarstadions noch einen weiteren Platz mit einer Kunststoff-Laufbahn zu versehen, um für zukünftige Ansprüche solcher Mannschaften gewappnet zu sein. Es bietet sich hier die Festwiese in idealer Weise an, wobei der Kunststoff dort keinesfalls Tartan zu sein braucht, sondern ohne weiteres auch ein anderer Belag verwendet werden kann, wenn nur bei jeglicher Witterung darauf Trainingsmöglichkeiten bestehen.
Was gerade in dieser Hinsicht die amerikanischen Athleten, die ja sieben Tage vor dem Wettkampf bereits angereist waren, verlangten und aber auch zeigten, beweist, dass unsere württembergische Leichtathletik hier noch manches dazulernen muss, um mit dem Training und den Leistungen der Leichtathleten aus Übersee - aber auch aus unserem guten alten Europa - Schritt halten zu können.
Wie wichtig gerade eine Kunststoffbahn bei derartigen Veranstaltungen ist, zeigte dann der erste Abend des Wettkampfes, bei dem es nach einer vielwöchigen Schönwetterperiode, die am anderen Tag wieder fortgesetzt wurde, regnete und zum Abschluss einen Wolkenbruch gab, der bei jeder anderen Anlage zum Abbruch des Wettkampfes geführt hätte - nicht so im Neckarstadion, wo nach Beendigung des Wolkenbruchs die restlichen Laufwettbewerbe und alle Disziplinen unter für die Athleten noch recht akzeptablen Bedingungen abgeschlossen werden konnten.
Haben wir unsere Städte, ganz besonders Stuttgart, zur Installierung von Kunststoffbahnen angeregt, so ist es jetzt unsere Aufgabe, durch laufende Veranstaltungen auf diesen Anlagen dieses Wagnis der Stadtväter zu belohnen. Es geht deshalb meiner Meinung nach nicht an, dass irgendwelche Meisterschaften - man denke nur an die Deutschen 1970 - auf anderen, als auf einwandfreien Kunststoffbahnen durchgeführt werden, um unseren Athleten im DLV optimale Voraussetzungen für gute Leistungen zu bieten, die sie gegenüber der Weltelite bestehen lassen können.
Karl Mangold war 1969 Sportwart des WLV und folgte von 1981 bis 1993 Alfred Jetter als Präsident nach
Peter Betten: Oh, oh America...
In die peinlichste Situation hat mich ja ein Mann aus den eigenen Reihen gebracht: Bei der Attaché-Besprechung hatte er noch laut posaunt, dass die Anlagen auf dem Platz seines Vereins in Ordnung seien, falls die Amerikaner am Tag ihrer Ankunft noch trainieren wollten (die Anlagen im Stadion waren an diesem Tag wegen eines Fußballspiels nicht zu benützen). Also wurden die beiden Kugelstoßer Salb und Steinhauer und der Hammerwerfer Hart mit einem VW-Bus zu diesem Platz gefahren.
Ich selbst brachte etwas später Martinez und seinen Trainer dorthin. Von den drei schweren Männern wurde ich wütend empfangen: Es hatte sich herausgestellt, dass der Gewichtsraum nicht benützt werden konnte, weil der Platzwart nicht da war, dass ein Stoßkreis keinen Balken besaß und am andern Kreis bei der 17 Meter-Marke der Wald begann. Hammerwerfen konnte man schon gar nicht. Da ich mich in Stuttgart Gottseidank auskenne, wurde schnell der Entschluss gefasst: einsteigen und ab zum Sportplatz Baumschule nach Degerloch, einer städtischen Anlage. Dort standen wir vor verschlossenen Toren. Was tun? Der Attaché musste voran über den Zaun! Er hatte allerdings nicht mit dem Schäferhund des Platzwarts gerechnet. Als der Hund schließlich an der Leine war und dem Platzwart der Fall dargelegt wurde - der Ärmste hatte an diesem Freitag seinen freien Tag! - durften die Athleten durchs geöffnete Tor ins Stadion marschieren. AIs sie die gepflegte Anlage sahen und merkten, dass auch keine Zuschauer da waren, hellten sich ihre Mienen auf. Mir fiel ein Stein vom Herzen ...
Die Werfer waren überhaupt die Sorgenkinder in der Mannschaft. lm Gewichtsraum der Trainingshalle gab es zu wenig Gewichte für diese Herren. Nachschub musste erst aus der Gewichtheberhochburg Fellbach herbeigeschafft werden. Der Kugelstoßer Salb, der mit seiner Gattin nach Europa gekommen war, hatte am Tage der Abreise beim Hanteltraining den Ehering abgelegt und auch prompt liegengelassen. Am Bahnhof fiel es ihm - oder war es seine Frau? - dann auf. Er musste rasch in ein Taxi gesetzt, zum Stadion gefahren und rechtzeitig wieder am Bahnhof abgeliefert werden.
Bewundern musste ich die Herren von Daimler-Benz. Die Athleten fanden bei der Besichtigung des Museums besonderen Spaß daran, jeden Autositz und jede Hupe auszuprobieren, obwohl unzählige Schilder mit der Aufschrift „Bitte nicht berühren!“ an den Wagen angebracht waren. Dass keiner der Wagen in seine Einzelteile zerlegt wurde, wunderte einen. Die Herren der Firma aber sahen sich das Ganze mit gelassener Miene an.
Erst nachdem der Mannschaftsleitung bedeutet wurde, dass es bei uns nicht üblich ist, in den Anlagen hinter dem Schlossgarten-Hotel zu trainieren, wurde das Training dort eingestellt. Auch die Speerwerfer fügten sich. War deshalb die Parkwache der Polizei so böse und hat einem unserer Fahrer, der im Parkverbot vor dem Hotel stand, ein Strafmandat verpasst? Auch solche Kleinigkeiten können Attachés erledigen. Das Mandat wurde von der Polizei unbezahlt zurückgenommen.
Noch ein Lob auf unsere Stuttgarter Polizei. Bis heute habe ich keine Strafanzeige wegen zu schnellen Fahrens mit meinem PKW bekommen. Ob die Herren wohl beide Augen zugedrückt haben, als sie meinen Durchfahrtsschein sahen? Überhaupt halfen sie uns, wo es ging. Als wir am ersten Wettkampftag keine Verbindung mit der Polizeizentrale per Telefon bekamen, haben wir kurzerhand auf dem Bahnhofsplatz einen Streifenwagen gestoppt und per Polizeifunk unsere Motorradeskorte für den Mannschaftsbus ins Stadion angefordert.
Für mich unvergesslich ist jene Fahrt in meinem Wagen als Letzter in der Kolonne der offiziellen Wagen hinter einem Rau-Reiter der Stuttgarter Polizei. Vorbei an einer stehenden Kolonne und dem Gegenverkehr durch den Wagenburgtunnel und die Talstraße auf der Gegenfahrbahn ging's so schnell, dass ich alle Mühe hatte, zu folgen.
Ein Geburtstagskind hatten wir auch in der amerikanischen Mannschaft. Am 28. Juli wurde Barbara Ferrell 22 Jahre alt. Unserem WLV-Pressewart war dies aufgefallen. Nicht einmal die Mannschaftsleitung wusste davon. Beim Mittagessen wurde ihr vom Attaché ein großer Rosenstrauß überreicht.
Eine etwas diffizile Angelegenheit für die Attachés war das Auftreten einiger Athleten in einem Stuttgarter Nachtlokal. Wir mussten der Mannschaftsleitung und den Beteiligten mit viel Mühe klarmachen, dass die Athleten nicht wegen ihrer Hautfarbe am Betreten des Nebenzimmers gehindert wurden, sondern deshalb, weil dieser Raum nur Clubmitgliedern zugänglich war. Wahrscheinlich hatten an diesem Abend auch Sprachschwierigkeiten zu dem Vorfall beigetragen.
Als John Carlos seine Solo-Show nach der Schlusszeremonie mit der Fahne des Western Hemisphere Teams beendet hatte, wurde ihm vom Attaché unter einem Vorwand diese Fahne abgenommen. Beim WLV fand sich aber keiner, der diese Fahne zur Aufbewahrung haben wollte. Deshalb bekam sie Roland Strohhäcker vom VfB von mir, um sie beim anschließenden Länderkampf in Augsburg der amerikanischen Mannschaftsführung zu überreichen. Die Fahne gefiel den Mannschaftsführern Dan Ferris und Jesse Pardue so sehr, dass sie diese beim nächsten Erdteilkampf wieder verwenden wollen. Deshalb hängt sie heute im Citrus College in Azusa Los Angeles zur Aufbewahrung bis zum nächsten Kräftemessen der Kontinente. Ich habe sie dort gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Peter Betten war bei späteren Veranstaltungen im Neckarstadion (so zum Beispiel bei der EM 1986 und der WM 1993) für den Einsatz der Videotafel verantwortlich und geht dieser Aufgabe als Regisseur noch heute beim Stuttgart-Lauf nach.
Ernst Wurfer: Kurzbilanz in fünf Punkten
Die Betreuung der beiden Mannschaften bedeutete:
Eine gut durchdachte, umfassende Planung von vornherein. Das gelang leider nicht, ja es war gar nicht möglich, weil uns einige Verträge, Beschlüsse und Versprechungen, die den Mannschaftsleitungen gemacht wurden, überhaupt nicht bekannt waren.
Eine Unzahl von Kleinigkeiten, die das Bild nach außen hin bestimmen, aber nur „am Mann“ mit den Attachés erledigt werden können. sich also meist gar nicht vorweg „planen“ lassen. Da waren verlorene Glasfiberstäbe, die irgendwo im Luftraum zwischen Schweden und Stuttgart schwebten, da wollte man zum Training schwerere Hanteln als diejenigen, die bereitstanden, sechs Massagebänke wurden gefordert, Schlägereien im Nachtlokal waren zu schlichten, Fernseh- und andere Interviews zu vermitteln, besondere Zimmerwünsche in den heißen Nächten zu erfüllen, eine Unzahl von Fahrtwünschen waren zu erfüllen - das nächste Mal brauchen wir unbedingt noch einen besonderen „Fahrdienstleiter“.
Die Betreuer erfuhren aber auch echtes, brodelndes Leben, managerhaftes Telefonieren an drei Apparaten zur gleichen Zeit, echtes, hautnahes Erleben großer Wettkämpfe, Blicke hinter die Kulissen von der Anfahrt zum Stadion über das Warmlaufen, Massieren zu den letzten Ratschlägen der Trainer, und das „Hernach“ - Studienobjekte für angewandte Psychologie in Hülle und Fülle.
Das Schönste: viele persönliche Begegnungen.
Schließlich eine unendliche Müdigkeit und Leere nach den turbulenten Tagen - wie nach einem riesengroßen Rausch.
Ernst Wurfer war zum Zeitpunkt des Erdteilkampfs Lehrwart des WLV, eine Funktion, die er noch bis 1987 ausgeübt hat. Als Trainer hatte er in dieser Zeit ganze Generationen von Stabhochspringern unter seinen Fittichen.
Wolfgang Mayer: Schwaben und Sachsen
Nachdem mein Kollege Fischer aus Sachsen von der DDR-Mannschaft als Attaché abgelehnt wurde, war ich als Schwabe offenbar für die Betreuung besser geeignet. Nun, ich war gespannt auf das, was mir bevorstand, immerhin las man ja in unseren Zeitungen über „die von drüben“ so einiges.
Zuerst war es auch noch ein gegenseitiges Abwarten, doch bald war der Bann gebrochen und wirklich entspannte Atmosphäre kam zustande. Nach einer kleinen Beratung machte man einen gemeinsamen Kinobesuch aus. Man wollte einen Western sehen, und nach Betrachtung der Bilder in den Aushangkästen fiel die Wahl auf „Bestien vor Caracas“. Das war genau die rechte Entspannung vor dem Start, Ich hatte noch nie zuvor einen derart schlechten Film gesehen - man kam vom Anfang bis zum Ende aus dem Lachen nicht heraus. Sogar Wolfgang Nordwig verließ seine so sympathische Ruhe, und wir lachten herzlich über soviel Blödsinn.
Für den nächsten Tag planten wir einen gemeinsamen Omnibusausflug zu einigen Stuttgarter Sehenswürdigkeiten, wobei natürlich der Killesberg (wo es viel Spaß mit der Kleinbahn und der Sesselbahn gab) nicht fehlen durfte. Am Ende freuten sich die Damen der Equipe über einen von mir organisierten Blumenstrauß. Während der Fahrt schonten wir unsere Stimmbänder nicht: alle zusammen sangen wir die schönsten Wanderlieder aus dem Schwabenland, und ich war über die Textkenntnis nicht wenig erstaunt, zumal auch Heintje-Lieder im vollen Wortlaut erklangen. Wir verstanden uns prächtig, trotz der „Offiziellen“. Jeder wollte eine Auskunft, Hoffmann und Gies wollten einkaufen, mit Fromm unterhielt ich mich über das Trainingsprogramm der Mittelstreckler. Rita Schmidt erkundigte sich nach guten Beatplatten – und die große Attraktion unter den „schweren Männern“ war der Film „Die Technik der körperlichen Liebe“, den man entdeckt hatte. Es wurde rasch ein Termin ausgemacht, und auch die Offiziellen schlossen sich dieser Freude an.
Die prächtige Laune zeigte auch abends beim Wettkampf selbst. Nach dem 10.000 Meter-Lauf von Jürgen Haase dachte ich, ich werde mich mal für das Publikum entschuldigen. Aber Haase kam auf mich zu und sagte, dass er auch zuhause oft ausgepfiffen werde.
Am nächsten Tag ging ich dann mit Hoffmann und Gies einkaufen. Ich kann ihnen sagen, ich kam mir vor wie der Staatspräsident mit seinen „Gorillas“. Vom Angelhaken bis zur Babywäsche wurde alles gekauft. Oft wurden wir auf der Straße um Autogramme angegangen und es gab viel Spaß für uns drei. Unterwegs trafen wir auch Rita Schmidt, die ihre Beatplatten gekauft hatte. Nach einem langen Bummel kehrten wir mit gefüllten Tragtaschen heim und gingen gemeinsam zum zweiten Wettkampftag ins Stadion.
Der Abschied war herzlich, es gab für mich viele Einladungen in die DDR – und ich kann sagen, mein Bild von den Menschen in der DDR hat sich in diesen Tagen gewandelt; es ist doch anders, als wenn man die Dinge nur in der Zeitung liest.
Wolfgang Mayer betreute die DDR-Teilnehmer in Stuttgart
Zur besseren Einordnung hier einige politische und gesellschaftliche Ereignisse aus dem Jahr 1969:
9. Februar
Das bisher größte Verkehrsflugzeug, die Boeing 747 „Jumbo Jet“, mit der 385 Passagiere befördert werden können, absolviert seinen ersten Versuchsflug.
13. Februar
In München findet die erste Herztransplantation in der Bundesrepublik statt.
24. Mai
Zwei Tage vor Ablauf der Bundesligasaison steht der FC Bayern München als Deutscher Fußballmeister fest.
21. Juli
Mondlandung: Der US-Amerikaner Neil Armstrong setzt als erster Mensch den Fuß auf die Mondoberfläche
12. August
Der Konflikt in Nordirland eskaliert. Anlässlich einer protestantischen Parade kommt es in Londonderry zu Straßenschlachten zwischen Protestanten und Katholiken. Die Unruhen breiten sich in den folgenden Tagen auf weitere Städte aus.
17. August
Im US-Staat New York geht das Woodstock-Festival zu Ende. Zu dem dreitägigen Open-Air-Konzert waren zwischen 400.000 und 500.000 Rockfans erschienen. Trotz Regen, fehlender sanitärer Einrichtungen und Mangel an Nahrungsmitteln wird das Konzert zu einem großen Erfolg und zum Inbegriff der "Flower-Power-Bewegung".
1. September
Nach einer vom Bundestag verabschiedeten Strafrechtsreform werden ab dem 1. September Ehebruch und Homosexualität straffrei.
28. September
Wahlen zum 6. Deutschen Bundestag. Die CDU/CSU erhalten 46,1 Prozent, die SPD 42,7 Prozent und die FDP 5,8 Prozent der Stimmen. Am 21. Oktober wird Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt.
8. November
Der erste Forschungssatellit der Bundesrepublik "Azur" wird in die Erdumlaufbahn gebracht.
Entnommen aus:
Zündorf, Irmgard/Wagner, Claudia: Jahreschronik 1969, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland