Elena Burkard: Wenn der Olympiasieger beim Kaffee Mut zuspricht
„Hier ist es wunderschön“, sagt Hindernisläuferin Elena Burkard (LG farbtex Nordschwarzwald) beim Blick vom Balkon übers schweizerische Engadin. Darauf hatte sich die 29-Jährige Schwarzwälderin gefreut: drei Wochen vor ihrem Start bei den Olympischen Spielen in Tokio Höhentraining in St. Moritz auf 1800 Meter. Tapetenwechsel vor dem sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere, ihre ersten Spiele. Kunststoffbahn, eine Seerunde inmitten der Bergwelt, da lacht auch eine durch Verletzungspausen geschundene Seele.
Rechtzeitig war sie vor zwei Wochen beim Diamond League-Meeting in Stockholm wieder in Form gekommen, hatte ihre Bestzeit um fast zwei Sekunden auf 9:27,81 Minuten gesteigert. Burkard ist hinter Gesa-Felicitas Krause die zweitbeste deutsche Hindernisläuferin. Ihre bisherige Saison war holprig. Nach einem glänzenden Start beim Läufermeeting in Pliezhausen, als sie über 2000 Meter Hindernis Krauses Meetingrekord deutlich verbesserte und einem starken zweiten Platz bei der Team-EM in Chorzow (Polen), kam das verletzungsbedingte Aus einige Tage vor den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig.
Doch jetzt ist Burkard wieder da, schaut optimistisch auf die Olympischen Spielen nach Tokio. „Das Ziel ist immer das Finale“, sagt sie selbstbewusst. Doch die Konkurrenz hat mächtig aufgerüstet. Da bedarf es größter Anstrengungen. Während Burkard in St. Moritz mit ihren Konkurrentinnen aus Polen und den USA (auch Ex-Weltmeisterin Emma Coburn, die am Freitag in Monaco noch in den Wassergraben gefallen ist, trainiert hier), befindet sich Deutschlands Aushängeschild Gesa Felicitas Krause im eine Autostunde entfernten Davos.
„Es ist beeindruckend, was Gesa leistet“, spricht Burkard anerkennend, „es ist dennoch der Traum, sie irgendwann zu schlagen“. Fortschritte hat sie zuletzt bei der Technik am Wassergraben, dem Knackpunkt beim Hindernislauf gemacht. 76 Zentimeter hoch, 3,66 Meter lang und direkt hinter dem Balken eine Wassertiefe von 70 Zentimeter; nicht selten entscheiden sich Rennen gerade hier. Deswegen macht Elena Burkard in St. Moritz nochmals Hürdentraining. Manche Kenianerinnen setzten mit dem Fuß gar nicht auf dem Balken am Wassergraben auf, sie springen frei drüber. „Das irritiert manchmal ganz schön“ beschreibt die in Tübingen lebende Deutsche Meisterin des Vorjahres.
Elena Burkard ist derzeit vielleicht die vielseitigste deutsche Läuferin. Bahn, Cross, Hindernisse – sie ist überall zuhause und hat sich auf allen drei Strecken in Europa unter den ersten sieben platziert. Das überzeugte Schwarzwaldmädel baut seit Jahren auf die Unterstützung und Bindung ihres Heimtrainers Jörg Müller und ihres Verein, die LG farbtex Nordschwarzwald. Müller und Burkhard, das ist ein herzliches Verhältnis. Tübingen ist für sie ein idealer Standort zum Trainieren und Studieren, „und ein bisschen s’Städtle zu geniessen“, wie sie sagt. Sie wohnt bei den Baumanns in der Einliegerwohnung und freut sich, wenn ihr der Olympiasieger, wie zuletzt während ihrer Verletzungssituation, bei einem Kaffee Mut zuspricht.
„Das werden Geisterspiele“, sagt Burkard zum bevorstehenden Ereignis in Tokio und kritisiert vor allem, dass der Fußball in der Corona-Zeit über alles gestellt worden sei. 60.000 Zuschauer in London und Budapest im Stadion, leere Ränge in Tokio – wer kann das noch verstehen? Dennoch ist das Hygienekonzept für sie alternativlos.
Derweil ist die Baiersbronnerin dem Himmel in St. Moritz ganz nah. Das vielseitige Training hebt ihre Stimmung. Mit Schrägaufzug und Gondel ist sie hinaufgefahren auf die Corviglia. Dort wo im Winter die Skiasse ihre Weltcuprennen fahren, gibt es eine Finnbahn (wie am Tübinger Sportinstitut) mit einer Länge von einem Kilometer. Hier hat sie auf 2550 Meter Höhe in schönster, sonniger Bergkulisse unter dem Piz Nair eine Dreiviertelstunde ihre Runden gedreht, den Chronisten (gelegentlich) im Schlepptau, ein atmosphärischer Höhepunkt ihres Engadin-Aufenthalts. „Es geht hier nur mehr um den Feinschliff“, weiß Burkard.
Eine der größten Herausforderungen sei die Chancengleichheit bei den Spielen. „Aufgrund der mangelnden Kontrollen während der Coronazeit ist dies nicht gegeben“, befürchtet Burkard. Von St. Moritz geht es Ende der Woche nochmal nach Baiersbronn und Ende Juli mit dem Flieger nach Tokio. Das Damoklesschwert, das über den Athleten schwebt, heißt: 48 Stunden nach dem Ausscheiden müssen sie Japan verlassen. Elena Burkard würde gerne länger bleiben.
Willi Maiers Trainer-Comeback
Hindernis-Läufer treffen sich: Leichtathletik-Trainer-Legende Willi Maier (Genkingen) ist im Vorfeld der Olympischen Spiele in Tokio in die Trainer-Rolle zurückgekehrt. In St. Moritz übernahm der 73-jährige die Betreuung von Hindernisläuferin Elena Burkard. Maier stand wie früher bei seinem langjährigen Schützling Gudrun Abt (TSV Genkingen) bei Tempoläufen und Fahrtspielen auf dem Stadionrasen.
Der zweimalige Olympiateilnehmer (1972 und 1976) und deutsche Rekordhalter hatte in den 80er Jahren Hürdenläuferin Gudrun Abt in die Weltklasse geführt. Die heute 58-jährige, Mutter von Tim Nothdurft, Handballspieler beim Bundesligisten HBW Balingen-Weilstetten, war bei den Olympischen Spielen Sechste über 400 Meter Hürden und Vierte in der 4x400 Meter-Staffel geworden.
„Man spürt, dass Willi Maier unheimlich viel Erfahrung hat“, sagte Burkard nach den ersten Einheiten im Engadin, „es macht richtig Spass, mit ihm zusammenzuarbeiten“. Maier hat den Trainerjob nach St. Moritz wieder an Heimtrainer Jörg Müller weitergegeben.