Elena Burkard – Kämpferin greift nach Kindheitstraum
Hartnäckigkeit, der Glaube an sich selbst sowie glückliche und auch weniger erfreuliche Fügungen haben Hindernisläuferin Elena Burkard nicht nur in diesem Sommer zu ihrem ersten deutschen Meistertitel auf der Bahn geführt, sondern insgesamt zu einer Sportkarriere, die beweist: Auch Umwege können nach oben führen. Ihr lang gehegter olympischer Kindheitstraum ist in greifbare Nähe gerückt.
„Andere Kinder träumen davon, Tierarzt zu werden, ich wollte immer zu den Olympischen Spielen, noch ohne Idee, in welcher Sportart oder was das bedeutet“, erinnert sich die 28-Jährige aus dem Schwarzwald, die von sich sagt, quasi im Pferdestall groß geworden zu sein. Auch in den Reitsport schnupperte sie hinein, musste aber feststellen, dass die Möglichkeiten dort Fuß zu fassen auch eng mit der „Größe des Geldbeutels“ verbunden sind.
In der Leichtathletik lag die Leistung mehr in der eigenen Hand. Die Anfänge im Mehrkampf beim SV Mitteltal-Obertal waren allerdings auch nicht sofort vielversprechend. „Hochsprung, Kugelstoßen oder Sprinten, das lag mir alles nicht“, erzählt die heutige Leistungssportlerin, die sich gerne in der Natur aufhält. „Aber es hat mir von Anfang an Spaß gemacht, mich beim Laufen auszupowern.“ Das Praktische an dieser Disziplin war zugleich, dass sie überall auszuüben ist und der Schwarzwald noch dazu eine malerische Kulisse bietet.
Internationale Starts in der U20
Ein übermäßiges Talent zeigte sich aber auch im Laufen nicht unmittelbar. Im ersten U18-Jahr reichte es 2008 immerhin für einen Eintrag in die DLV-Bestenliste als 23. im 10-Kilometer-Straßenlauf (40:44 min). Im Jahr darauf steigerte sich die junge Läuferin über diese Distanz um zwei Minuten und lief außerdem über 3.000 Meter auf der Bahn in 10,24:77 Minuten national auf Position 21 in ihrer Altersklasse. Erst danach folgte ein Leistungssprung in die Nachwuchsspitze.
„In der U20 hat es langsam klick gemacht“, blickt Elena Burkard auf die Jahre 2010 und 2011 zurück. Die erste 3.000-Meter-Zeit unter zehn Minuten brachte in Ulm Bronze bei der Jugend-DM und im anschließenden Winter den ersten Einsatz im Nationaltrikot bei der Cross-EM in Albufeira (Portugal). Mit Rang acht bei der U20-EM in Tallinn (Estland) über 5.000 Meter (17:08,37 min) und Mannschafts-Bronze bei der Cross-EM in Velenje (Slowenien) ging es 2011 weiter aufwärts.
Weil aus ihrer Gruppe beim SV Mitteltal-Obertal niemand mehr übrig geblieben war, schloss sich die immer ambitioniertere Läuferin in dieser Zeit außerdem der LG farbtex Nordschwarzwald an und der Gruppe von Stützpunktrainer Jörg Müller. Die Zusammenarbeit dauert bis heute an, auch wenn die damalige Schülerin erstmal ganz weit von zu Hause wegging.
Studium in den USA
Nach dem Abitur stellte sich die Frage nach den Zukunftsplänen. Eine Antwort hatte die Schwarzwälderin nicht aus dem Stehgreif parat. „Die Polizei kam infrage, ich habe mich aber auch sehr für Chemie interessiert.“ Und ohne dass der Olympia-Traum schon zu einem konkreten Ziel geworden war, sollte es auch sportlich irgendwie weitergehen.
Mit Skepsis, ob ihre damalige 5.000-Meter-Bestzeit von 16:43,81 Minuten für eine Zusage ausreicht, versuchte es Elena Burkard 2012 auch mit der Bewerbung um ein Sportstipendium in den USA, an der University of San Francisco. „Das war ein absoluter Schuss ins Blaue.“ Der sollte sich als Glückstreffer herausstellen.
„Vor allem die Leute, die ich kennen lernen durfte, waren eine tolle Erfahrung“, so die Studentin, deren Stipendium nach der maximalen Länge von fünf Jahren und mit einem Bachelor in der Tasche auslief. Ohne diese finanzielle Grundlage war es nicht mehr möglich zu bleiben. „Mein Herz hängt bis heute an San Francisco. Aber später in den USA zu leben, kann ich mir wegen des Sozialsystems dennoch nur schwer vorstellen. Im Vergleich dazu leben wir in Deutschland im Luxus.“
Lehreiche Jahre mit vielen Verletzungen
Sportlich gelang es in den USA zwar, die 1.500-Meter-Zeit auf 4:20 Minuten und die 5.000-Meter-Zeit Richtung 16 Minuten zu drücken. Immer wieder behinderten aber Verletzungen wie Ermüdungsbrüche die Entwicklung. „Das lag nicht an meiner Trainerin in den USA. Die hat uns auch viel alternativ trainieren lassen“, erzählt die leidenschaftliche Crossläuferin. „Allerdings haben wir schon bis zu neun Einheiten die Woche gemacht und ich bin ein Wettkampftyp. In der Gruppe bin ich immer ans Limit gegangen, ohne Druck von außen. Das hat zu den vielen Verletzungen beigetragen.“
2017 zurück in Deutschland begann Elena Burkard mehr Rücksicht auf die Signale ihres Körpers zu nehmen. „Bis heute würde ich gerne noch mehr und noch härter trainieren. Ich habe aber eingesehen, dass ich mehr davon habe, wenn ich mit einem dosierten Training an der Startlinie stehen kann, statt verletzt zu Hause zu sitzen.“
Die Trainingskilometer aus den USA brachte sie mit zurück in die Heimat: Schon im Sommer direkt nach ihrer Rückkehr unter anderem als DM-Vierte über 1.500 Meter in 4:10,92 Minuten ging es einen deutlichen Schritt nach vorne ging. Auch Platz fünf bei der Cross-EM zum Jahresabschluss markierte einen deutlichen Aufwärtstrend.
Ihre Zelte schlug die Bachelor-Absolventin in Tübingen auf und begann an der Universität dort ein Masterstudium, das sie inzwischen in der Fachrichtung Pharmazie neben dem Sport so weit wie möglich vorantreibt. Ein Anlaufpunkt fürs Training ist der Olympiastützpunkt Stuttgart, wo mit der VfB Reha-Welt auch ein medizinisches Team zur Begleitung zur Verfügung steht. Jörg Müller übernahm wieder komplett die Trainingsplanung.
Hindernisse öffnen neue Türen
Vor allem, weil es gesundheitlich bergauf ging, nahm das Duo aus Athletin und Trainer auch eine neue Strecke in Angriff, die schon länger als Möglichkeit im Hinterkopf war, aber auch wegen zusätzlicher Verletzungsgefahr bisher nicht auf dem Wettkampfplan stand. Mitte Mai 2018 ging Elena Burkard in Pliezhausen über die 2.000 Meter (6:20,82 min) erstmals in einem Hindernisrennen an den Start. Nur drei Monate später sollte sie sich in dieser Disziplin EM-Sechste nennen dürfen.
„Damit, dass es so gut läuft, hätte ich nie gerechnet. Es war mehr ein Versuch mit offenem Ausgang“, erzählt Elena Burkard. Auch die Bestzeiten über die Flachstrecken purzelten reihenweise (1.500 m: 4:06,51 min; 3.000 m: 8:45,43 min; 5.000 m: 15:12,17 min) und ermöglichten einen kometenhaften Aufstieg. Als bisheriger Höhepunkt der Karriere verlief auch der erste Einsatz bei einer internationalen Stadion-Meisterschaft der Aktivenklasse bei der Heim-EM in Berlin mit Hindernis-Bestzeit im Finale (9:29,76 min) absolut erfolgreich.
Neue Verletzungsprobleme überwunden
Der Erfolgssaison folgte allerdings erst einmal wieder eine schwierige Phase. Eine Entzündung der Plantarsehne verhinderte 2019 die erste WM-Teilnahme. Dem Bewegungsapparat nicht zu viel zuzumuten, bleibt eine der Herausforderungen. Kürzer treten und eine Röntgenreizbestrahlung erlaubten erst im Frühjahr 2020 die Belastungen wieder hochzufahren. Langsam kam die Form zurück.
Im Juli fiel die Bestzeit über 3.000 Meter flach (8:44,92 min). Nach ihrem ersten deutschen Meistertitel über die Hindernisse Anfang August in Braunschweig (9:50,31 min) kam die 28-Jährige im September in Ostrava (Tschechische Republik) in 4:06,85 Minuten auch an ihre 1.500-Meter-Bestzeit heran und konnte beim ISTAF die 3.000 Meter Hindernis wieder in 9:35,67 Minuten zurücklegen. Das Level von 2018 war wieder erreicht.
„Aufbau und Wettkampfeinstieg waren etwas holprig. Vor diesem Hintergrund kann ich mit meiner Saison sehr zufrieden sein“, lautet das Fazit von Elena Burkard. „Wenn ich Richtung 2021 etwas geschmeidiger durchkomme, kann es noch ein Stück nach vorne gehen. Da bin ich zuversichtlich.“ Auch um ihren Rhythmus mit Grundlagentraining und Cross-Saison im Winter sowie Tempoläufen und Bahnrennen im Sommer beizubehalten, wurde das Jahr trotz Corona durchgezogen.
Olympia-Norm in Reichweite
Um 2021 möglichst neue Bestzeiten aufzustellen, gilt es weiter die richtige Mischung zwischen Be- und Entlastung zu finden. Das über mittlerweile zehn Jahre und verschiedenste Situationen gewachsene Vertrauensverhältnis zu ihrem Trainer bietet beste Voraussetzungen. Einmal die Woche Techniktraining soll außerdem das Überlaufen von Hindernissen und Wassergraben weiter verbessern. „Optisch wird das bestimmt nie wunderschön. Aber ich möchte sicher und energiesparend rüberkommen“, erzählt die Studentin. Und auch eine Cross-Saison ist wie gewohnt angedacht, obwohl die in Dublin (Irland) geplante Cross-EM schon abgesagt wurde.
„Ich hoffe, dass es ein paar international besetzte Rennen geben wird. Wenn es reinpasst, werde ich auch das ein oder andere Hallenrennen absolvieren.“ Davon, dass die Olympischen Spiele im kommenden Jahr ausgetragen werden, geht Elena Burkard fest aus. „Es wird sicherlich anders werden. Aber das muss ja nicht heißen, dass es schlechter wird.“
Die Olympia-Norm, die eine Qualifikationsmöglichkeit für Tokio (Japan) ist, liegt bei 9:30 Minuten, also knapp über der Bestzeit aus dem EM-Finale 2018. „Damals war mir das gar nicht so bewusst, der Schock kam erst später: Mein Kindheitstraum Olympia ist plötzlich realistisch. Er kann wahr werden.“
Video: Elena Burkard siegt im Braunschweiger Hitzekessel über 3.000 Meter Hindernis
Das sagt Bundestrainer Enrico Aßmus:
In der wegen Corona außergewöhnlichen Saison ist es wenigen Athleten gelungen, an ihre Bestzeiten heranzulaufen. Elena hat mit den 8:44 Minuten über 3.000 Meter flach sogar eine neue Bestleistung aufgestellt. Diese Zeit zeigt auch, dass ihr Potenzial über die Hindernisse noch nicht ausgeschöpft ist.
Technisch ist sie im Vergleich zu ihren Anfängen über die Hindernisse 2018 insbesondere am Wassergraben schon deutlich stabiler geworden. Dieses Jahr beim ISTAF ist sie offensiv angelaufen, dafür aber noch nicht ganz belohnt worden. Bei einem harmonischeren Rennverlauf wäre die Hindernis-Bestzeit drin gewesen. Ich traue Elena absolut eine Zeit um 9:20 Minuten zu. Damit möchte ich keinen Druck aufbauen, sondern sehe es als Chance.
Als Typ ist Elena eher zurückhaltend, auf eine sehr angenehme Art und Weise. Sie ist eine Kämpferin und geht jede Aufgabe hochmotiviert an. Mit ihrem langjährigen Heimtrainer Jörg Müller hat sie den Trainingsprozess immer weiter optimiert. Sie nutzt viele alternative Trainingsmöglichkeiten wie Schwimmen und Radfahren, um Verletzungen zu vermeiden. Insbesondere in diesem Jahr ist es wieder gelungen, fit am Start zu stehen. Natürlich kann es aber immer vorkommen, dass eine Sehne meckert und ein Kochen zu sehr belastet wird. Das bringt der Leistungssport leider mit sich.