70 Jahre WLV: Zwei Namen, die den Sprint prägten: Heidi-Elke Gaugel und Tobias Unger

  27.06.2021    WLV Top-News WLV 70 Jahre WLV
Ihre Namen prägten jeweils eine ganze Ära im Sprint des WLV. Hedi-Elke Gaugel, 18-fache Deutsche Meisterin, zählte in den 80er-Jahren zu den herausragenden deutschen Sprinterinnen. Tobias Unger, als einziger weißer Sprinter im olympischen 200 Meter-Finale 2004 in Athen, hält noch heute den deutschen Rekord über seine Spezialdisziplin. Ewald Walker blickt mit den beiden auf ihre Leichtathletik-Karriere zurück.

Die Grande Dame des Sprints: Heidi-Elke Gaugel

Ihr Name war in den 80er Jahren ein Synonym für hochklassige Sprints auf vielen Kunststoffbahnen der Welt. Mit insgesamt 18 Deutschen Meistertiteln über 60, 100, 200 und 4x100 Metern zählt Heidi-Elke Hudak, besser bekannt unter ihrem Mädchennamen Gaugel, bis heute zu den herausragenden deutschen Sprinterinnen. Die in Schönaich bei Böblingen geborene Athletin trug während ihrer kompletten Laufbahn das Trikot des VfL Sindelfingen, nachdem sie ihre Karriere beim SV Böblingen gestartet hatte. Folgerichtig haben wir uns in der Weiler Hütte im Schönbuch auf einem Baumstamm und einem Stein sitzend zu einer Zeitreise zurück getroffen.

„Heidi war zurückhaltend, offen, ehrlich“ beschreibt sie Werner Späth, ihr Trainer, der sie 12 Jahre betreut hat, und von der Basis an die internationale Spitze geführt hat. Und diese Charakterzüge sind heute noch spürbar. Neben ihren Titeln hat Hudak zwei wertvolle Medaillen zuhause im Schrank liegen: die Bronzemedaille, die sie 1984 in Los Angeles mit der 4x400 Meter-Staffel gewonnen hatte, und die Silbermedaille von den Europameisterschaften 1986 im „heimischen“ Neckarstadion in Stuttgart, ebenfalls in der 4x400 Meter-Staffel.

Überhaupt Stuttgart: ihre Bestleistungen erzielte Heidi-Elke Hudak (Gaugel) bei den Deutschen Meisterschaften 1985 im Neckarstadion. Sie sprintete als deutsche Doppelmeisterin 11,15 Sek. und 22,56 Sek. - Leistungen, mit denen sie noch heute um einen nationalen Titel mitlaufen könnte und die Höhepunkte ihrer Laufbahn waren.

„Ich hatte immer großen Respekt vor Olympiasiegerin Annegret Richter, mein Vorbild war eigenartigerweise aber die Mittelstrecklerin Ellen Tittel“, sagt die heute 61-Jährige. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sie ihre beiden internationalen Medaillen in der 4x400 Meter-Staffel erzielte. Bundestrainer Wolfgang Thiele hatte in Los Angeles den Staffel-Einsatz der Sindelfingerin bis einen Tag vor dem Finale zurückgehalten, um sie dann erfolgreich ins Getümmel zu werfen. „Ich bin nie mehr vor so vielen Zuschauern gelaufen wie im dortigen Olympiastadion“, erinnert sich Hudak daran. Sie war tief beeindruckt vom Olympischen Dorf („das tatsächlich ein riesiges Dorf war“) und natürlich der Siegehrung mit der Medaillenübergabe. Sie hat noch eine Anekdote parat von den deutschen Athleten, die nicht einmarschieren durften. Die hielten sich während der Eröffnungsfeier im Dorf auf und verspeisten einen nach schwäbischer Hausfrauenart gebackenen Zwetschgenkuchen.

Bei der EM in Stuttgart genoss sie bei der Startvorstellung den starken Applaus, den man ihr als Lokalmatadorin entgegengebracht hat. Dafür hat sie sich über eine Zeitungs-Überschrift geärgert. „Schön, aber nicht schön schnell“, hatte man den deutschen Sprinterinnen da entgegengehalten. Sie reklamierten beides für sich. Immerhin hatte sich zu ihrer Zeit das Outfit der Sprinterinnen geändert: vom ganzheitlichen Anzug zu den knapperen Zweiteilern. Es war wohl nicht die schlechteste Entwicklung: Bedenklich war dagegen die Leistungssprünge einiger Sprinterinnen, die den Dopingverdacht schürten. Dazu zählte auch die vierfache Olympiasiegerin Florence Griffith-Joyner, die die Weltrekorde über 100 und 200 Meter bis heute auf 10,49 und 21,34 Sek. wie in Stein gemeisselt hat. „1981 beim ISTAF in Berlin hatte ich sie noch geschlagen und im Griff gehabt, wenig später ist sie leistungsmäßig geradezu explodiert“, erinnert sich Hudak an diese dubiose Entwicklung.

Zwar hat sich die Bankangestellte bei der Böblinger Volksbank inzwischen vom Sport etwas entfernt. „Das Kapitel Sport ist abgeschlossen“, sagt sie, nachdem sie bereits mit 28 ihrer Karriere beendet hatte. Ihre Bilanz ist positiv. „Ich habe viel für mein Selbstbewusstsein aus dem Sport mitnehmen können“, sagt sie, „habe viele Menschen kennengelernt“. Trainer Werner Späth sei das Beste gewesen, was ihr hatte passieren können. Im Sport hat sie auch ihren damaligen Mann Harald Hudak, Weltklasseläufer über 1500 Meter (3:31,96 Min.), kennengelernt. Dessen berufliches Engagement in Singapore, Thailand und Japan hat den Abstand zur heimischen Leichtathletikszene vergrößert.

Ganz zum Schluss unserer Zeitreise, schaut sie hoch zu den Baumwipfeln im Schönbuch und sagt: „Mein Leben in der Leichtathletik war hervorragend, ich möchte es nicht missen“.

Das Gespräch mit Heidi-Elke Hudak führte Ewald Walker

Der schnellste Schwabe der Welt: Tobias Unger

Zehn Jahre lieferte der Sprinter Tobias Unger Schlagzeilen wie diese: Der weiße Blitz – Das Zugpferd für die deutschen Sprinter – Unger fühlt sich fit für Staffel-Gold – Ich träume von der 19 – Stille Sprinter sind schnell – Unger als Leitfigur – Der schnellste Schwabe der Welt – Das war heute mein schönster Tag – Der Farbtupfer im Olympiafinale – Der Traum von der glatten zehn – Neuer Dress neue Ziele – Tobias Unger und die Renaissance des Sprints – Je oller, je schneller – Zehn magische Sekunden – Der VfB holt Tobias Unger nach Hause – Der Schwabenpfeil meldet sich zurück

Tobias Unger, gertenschlank, kahlgeschorener Kopf, Sprinter für den TSV Wendlingen, den VfL Kirchheim, den VfL Sindelfingen, Salamander Kornwestheim-Ludwigsburg, LG Stadtwerke München und den VfB Stuttgart. Er steht eine Epoche lange für die Leichtathletik in Württemberg. 10,14 und 20,20 Sekunden sind seine Duftmarken, die er zurückgelassen hat. Die 200 Meter-Zeit ist bis heute deutscher Rekord, seit 16 Jahren.

Unger hat zudem Medaillen gewonnen: 15 Mal war er deutscher Meister über 60, 100 und 200 Meter. Ein Rekordsprinter eben. 2005 in Madrid wurde er Hallen-Europameister über 200 Meter. „Mein schönster Tag“ übermittelte er damals dem Chronisten am Telefon, der Titel war mein Traum“. Der größte Erfolg aber war wohl das Vordringen ins olympische Finale 2004 in Athen, vier Runden zu laufen bei Olympia. Als einziger weißer Sprinter in einem olympischen Finale! Unger war der Held unter den deutschen Sprintern.   

Nach der missglückten WM von Paris 2003 fasste er den Entschluss, Profi zu werden. WLV-Präsident Jürgen Scholz hatte ihn beim Zivildienst am Olympiastützpunkt und im WLV unterstützt. DLV-Präsident Helmut Digel schaffte die Voraussetzungen dafür, verschaffte dem Vorzeigesprinter im Studium an der Uni Tübingen alle Voraussetzungen. Der Lohn: 2004 gewann er Bronze über 200 Meter bei den Hallenweltmeisterschaften in Budapest und das Jahr 2005 wurde zum erfolgreichsten. Hallen-Europameister in Madrid, Siebter im WM-Finale von Helsinki, deutscher Doppelmeister über 100 und 200 Meter in Bochum – mit dem legendären 20,20-Rekord.  „Natürlich habe ich da auch an eine 19 Komma gedacht“, sagt Unger im Rückblick.

Wir sitzen in Kirchheim im fast fertiggestellten Fitnesscenter. 1600 Quadratmeter, Outdoorbereich, vier Saunen, exklusive Ausstattung. Ja, schnell zu rennen hat sich gelohnt für diesen inzwischen 42-jährigen ehemaligen Sprinter. Zusammen mit seiner Partnerin betreibt er das Studio. Der Name des Fitnesstudios ist Programm: 20:20 – wie lang Unger damit in den Rekordlisten stehen bleibt?   Schnelligkeit war so etwas wie sein Lebensmotto: auf der Kunststoffbahn und daneben, mit schnellen Autos beispielweise.

Natürlich schaut er sich Leichtathletik im TV an, wenn was kommt. Mit bald einem deutschen Sprinter unter zehn Sekunden? „Ja, das kann ich mir ganz gut vorstellen, da ist derzeit eine sehr gute junge Truppe vorhanden“, meint der Fitess-Ökonom.

Die emotional schönsten Momente seiner Laufbahn? „Das Erlebnis Olympische Spiele in Athen mit Platz sieben, der anschließende Urlaub mit meinen Eltern und Trainer Micky Corucle, die anschließende Fahrt durch Wendlingen im offenen Wagen“ sind hängen geblieben. Genauso wie die Medienaufmerksamkeit: Besuch im TV-Studio bei „Sport im Dritten“ und im Aktuellen Sportstudium beim ZDF.

Nicht immer war jedoch alles glänzend. Verletzungen hatten ihn mehrfach aus der Bahn geworfen. Doch Unger kam immer wieder zurück. Wie auch von seinem Ausflug zu den Stadtwerken München, die Rückkehr an seine Wurzeln zum VfB, wo er nach dem Ende seiner Karriere bei den Fußballern als Konditionstrainer tätig war. 

Will man Unger und seine Karriere vollständig beschreiben, muss man den Mann an seiner Seite erwähnen: Micky Corucle. Trainer, Gewissen, Schnellmacher. Leicht bleiben hat Corucle als Philosophie ausgegeben. „Micky ist immer hinter mir gestanden, ihm habe ich alles zu verdanken“, weiß er um die Rolle seines Schattenmannes. 

Ein Vorbild für Unger? „Ja – Frankie Fredricks, ihn hatte ich bei der WM in Stuttgart als 200 Meter-Weltneister gesehen. Später hatte er die DLV-Sprinter als Mentor ins Trainingslager nach Portugal begleitet, einfach ein Super Typ“, schwärmt Unger noch heute von diesem grazilen Läufer.

Tobias Unger konnte immer gut leben von dem Geld, das er als Sprinter verdiente. „Die Prämien kamen mit guten Leistungen, und ich hatte mit Nike einen sehr guten Ausrüster“, sagt er heute und ergänzt: „Toto-Lotto und mein Verein taten ein Übriges“.

Darüber hinaus ist die Leichtathletik für Tobias Unger wertvoll geblieben. „Es ist eine Top-Sportart, vielfältig, und mit internationalen Freundschaften gesegnet“, sagt der Schwabenpfeil. Er ist vom Sprinter zum Langstreckler geworden: mit dem Mountainbike fährt er heute die Schwäbische Alb hoch, oder auf den Hausberg, die Teck. Immerhin zweimal wöchentlich reicht es noch zum Joggen. Ungers Backen sind nämlich etwas dicker geworden. 

Sein Fazit nach 25 Jahren in der Leichtathletik: „Ich würde alles wieder so machen, es war eine tolle Zeit“.

Jetzt läuft die Zeit danach.

Das Gespräch mit Tobias Unger führte Ewald Walker


Ewald Walker / wlv