Stuttgart '93 - die beste WM aller Zeiten
Nach der Umstellung des Austragungsmodus der Leichtathletik-Weltmeisterschaften durch den Internatioanlen Leichtathletik-Verband IAAF auf einen Zweijahres-Rhythmus blieben den Stuttgarter Organisatoren nur knapp zwei Jahre Vorbereitungszeit. Wo sonst außer in Stuttgart konnte es gelingen, das nach den Olympischen Spielen in München und der Fußball-WM das drittgrößte Sportevent, das in der Bundesrepublik ausgetragen wurde, zu organisieren.
Die Weltmeisterschaften wurden von insgesamt 585.450 Zuschauern besucht – die höchste je erreichte Zuschauerzahl bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Für „das große Zuschauerinteresse, die Fachkunde und Begeisterung des Publikums“ wurden die Besucher der Weltmeisterschaften mit dem Fairplay-Preis der UNESCO ausgezeichnet. Nicht nur die Sportler aus dem Gastgeberland wurden angefeuert wie bei vielen folgenden Weltmeisterschaften. Jeder Starter erntete Respekt und Beifall von den Rängen. Eine „La Ola“ ging unzählige Male durch die Reihen der Zuschauer.
1.689 Sportler aus 189 Nationen nahmen an der WM vom 13.-22. August 1993 teil, auch dies eine neue Rekordzahl. Stuttgart ist es in jeder Hinsicht nicht nur gelungen, an die vorhergehenden Weltmeisterschaften in Helsinki, Rom und Tokyo und anzuknüpfen, sondern auch, neue Maßstäbe zu setzen. „Während viele dachten, dass die Erfolge der WM von Tokyo nicht mehr übertroffen werden können, scheint Stuttgart das Unmögliche möglich gemacht zu haben, indem es eine Veranstaltung ausrichtete, die sicherlich das größte Leichtathletik-Erlebnis in der Geschichte war“, schrieb der damalige IAAF-Präsident Primo Nebiolo im Abschlussbericht zur WM 1993.
Stuttgart hat der Leichtathletik neue Perspektiven eröffnet. Auch deshalb, weil das Prinzip der "sauberen Leistung" von Zuschauern und Medien umfassende Anerkennung erfuhr. Athleten, die das Beste gegeben hatten und trotzdem das Finale oder den Endlauf verpasst hatten – sie wurden nicht länger als WM-Touristen verspottet. "Es gab bei dieser WM keine Verlierer.“ Dieses Fazit zog nach der Schlussfeier der Präsident des Organisationskomitees, Prof. Dr. August Kirsch. Die Zuschauer hatten jeden einzelnen Gewinner oder Verlierer, Helden oder Unglücklichen nicht ohne ein riesiges Kompliment aus dem Stadion verabschiedet – sie ließen nicht nur die Sieger hochleben. Minutenlang feierten sie Sprinterin Merlene Ottey, die das Fotofinish gegen Gail Devers um eine Tausendstelsekunde verlor. Sie bejubelten den großen Carl Lewis, der im Spätherbst seiner Karriere als Dritter über 200 Meter ins Ziel kam. Sie trieben die deutsche 4 x 400-Meter-Staffel zur unerwarteten Bronzemedaille und harrten bis spät in der Nacht aus, um zu applaudieren, als Zehnkämpfer Paul Meier Bronze umgehängt bekam. Aber es hallten auch Pfiffe von den Rängen, als die unter Dopingverdacht geratenen chinesischen Läuferinnen gleich sechs Medaillen abräumten.
Die WM in Stuttgart war auch die WM der Leichtathletik-Legenden. Carl Lewis, Frank Fredericks, Michael Johnson, Noureddine Morceli, Haile Gebrselassie, Colin Jackson. Javier Sotomayor, Sergej Bubka, Mike Powell, Lars Riedel, Jan Železny, Dan O’Brien, Gail Devers, Merlene Ottey, Maria Mutola, Sally Gunnell, Heike Drechsler, Jackie Joyner-Kersee, die Liste der großen Namen ließe sich noch lange fortsetzen.
Aber ein Ereignis wie die Leichtathletik-WM 1993 ist auch unwiederbringlich: Die Macher der einstigen Sporthauptstadt schafften es nie, Stuttgart auf Dauer als Leichtathletik-Standort zu halten. Inzwischen rollt nur noch der Ball in der Arena: Die Laufbahn ist herausgerissen, die WM nur noch wunderschöne Erinnerung.
Legen wir los! Freut euch mit uns auf historische Stimmen, viele Bilder und Menschen, die 1993 mit dabei waren und heute noch von den Erlebnissen träumen und gerne darüber berichten. Wir schwelgen schon selbst wieder mit unseren Gedanken im August des Jahres 1993…Gänsehaut pur. Einfach: Leichtathletik-LIEBE.
Highlight-Videos
Nochmals WM’93-Atmosphäre genießen mit den Videos von Colin Jacksons 110 Meter Hürden-Weltrekord, dem Sieg von Heike Drechsler im Weitsprung und dem 100 Meter Finale der Frauen (Link zur ARD Sportschau-Seite).
Das offizielle Erinnerungsvideo des DLV
Nochmals 45 Minuten lang WM-Luft schnuppern. Das offizielle Erinnerungsvideo des Deutschen Leichtathletik-Verbandes mit einem Vorwort von DLV-Lauftreffwart Friedemann Haule zeigte Ausschnitte aus der Eröffnungsfeier mit dem Einlauf der Sternläufer in das Gottlieb-Daimler-Stadion, den Marathonwettbewerb der Männer und Frauen sowie Highlights verschiedener Wettbewerbe.
Sechs WLV-ler waren im DLV-Team für Stuttgart
Nicht ganz so groß wie erhofft und erwartet fiel das Kontingent der WLV-Athletinnen und -Athleten im DLV-Dress aus. Dieter Baumann, Olympiasieger 1992 und Aushängeschild der württembergischen Leichtathletik musste schon im März passen und eine ganze Reihe bekannter Namen wie beispielsweise Hindernisläufer Patriz Ilg, Zehnkämpfer Siggi Wentz, Sprinterin Heidi-Elke Gaugel oder 800 Meter-Läufer Peter Braun, die bei der EM 1986 die württembergischen Fahnen hochhielten, waren zwischenzeitlich nicht mehr aktiv. Der Stimmung im Stadion tat dies aber keinen Abbruch und die Bilanz der sechs WM-Starter des WLV konnte sich durchaus sehen lassen.
Hier ihre Ergebnisse:
- Martin Amann (LG VfB/Kickers Stuttgart) 10. Platz Stabhochsprung Vorkampf mit 5,55 Meter
- Kim Bauermeister (LG Filder) 8. Platz 3.000 Meter Hindernis, Vorlauf in 8:37,41 Minuten
- Stephane Franke (LG Salamander Kornwestheim) 4. Platz Finale 10.000 Meter in 28:10,69 Minuten
- Werner Holl (LG VfB/Kickers Stuttgart) 18. Platz Stabhochsprung Vorkampf mit 5,25 Meter
- Michael Kohnle (Turnerschaft Göppingen) 9. Platz Zehnkampf mit 8.075 Punkten
- Sabine Zwiener (LG VfB/Kickers Stuttgart) 7. Platz Zwischenlauf über 800 Meter in 2:00,77 Minuten
Die kompletten Ergebnisse der Leichtathletik-WM 1993 können hier nachgelesen werden:
» Ergebnisse der Männer
» Ergebnisse der Frauen
Hier lesen Sie die Erinnerungen von Sabine Zwiener und Michael Kohnle an die Leichtathletik-WM ‘93 in Stuttgart:
Sabine Jauchstetter (ehem. Zwiener): Stolz und Dankbarkeit
Mit der WM 1993 verbinde ich unheimlich viel Stolz und Dankbarkeit, eine Weltmeisterschaft in meiner „Heimat“ als aktive Sportlerin erlebt zu haben. Die Vorbelastung am Wettkampftag habe ich zuhause im Wald gemacht, auf dem Warmlaufplatz beim Polizeisportverein hatte ich schon viele Trainingsrunden gedreht, der OSP als meine Anlaufstelle war in unmittelbarer Nähe und auch das Neckarstadion war mir alles andere als fremd. Als ich dann noch einige der Helfer und Kampfrichter, die uns beim Wettkampf begleiteten, persönlich kannte, war das mehr Gänsehaut-Gefühl als in jedem anderen Stadion irgendwo auf dieser Welt. Und auch die wunderbare Stimmung im Stadion, die ich bei der EM 1986 schon als Zuschauer erlebt hatte, wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Michael Kohnle: Nachnominiert zum emotionalsten Zehnkampf der Aktiven-Klasse
Für mich war die WM 1993 ein besonders emotionales Ereignis. Angefangen hat das damit, dass ich eigentlich gar nicht dabei gewesen wäre! Nach den beiden Qualifikationswettkämpfen, den Deutschen Meisterschaften in Vaterstetten und dem Meeting in Götzis, hatte ich in der Summe der beiden Zehnkampf-Punktzahlen die viertmeisten Zähler gesammelt. An der WM teilnehmen durften jedoch nur drei Zehnkämpfer. Von daher war klar: Torsten Voss, Paul Meier und Christian Schenk waren gesetzt. Ich als Viertbester konnte nicht teilnehmen, daher war die Saison für mich abgehakt.
Ich saß gemütlich mit unseren Nachbarn draußen, als der Anruf kam. Ob ich Lust hätte, in 6 Wochen einen Zehnkampf zu machen? Ich sollte noch einen Leistungstest erbringen, dann wäre ich dabei. Das war für mich keine Frage, dass ich dabei sein wollte, bei der WM vor der eigenen Haustür!
Für mich war der Abend beendet: Ich ging ins Bett, um fit zu sein für den Leistungstest, den ich bereits am nächsten Tag erbrachte. Ich machte einen Stabhochsprung-Wettkampf, sprang 5 Meter, und war damit gesetzt.
WM-Vorbereitung aus der Pause heraus
Mental war ich schon in der Pause nach der Saison gewesen, hatte nur wenige Wochen für die neue Vorbereitung, hatte kurz zuvor meinen Trainer gewechselt - die Vorbereitung war alles andere als optimal. Doch gerade deshalb, weil die Vorbereitung so kurzfristig war, war das Dabeisein alles für mich.
In der Nacht auf den Zehnkampf und zwischen dem Zehnkampf waren wir direkt am Stadion in einem kleinen Hotel untergebracht, um möglichst viel Ruhezeit zu haben. Doch bereits am Abend nach dem Zehnkampf bin ich wieder nach Hause nach Göppingen gefahren. Das war ja nicht weit!
Besonders erinnere ich mich an den Einlauf vor dem 100-Meter-Lauf. Es waren so viele Menschen im Stadion, auch meine Eltern und meine Frau, und ich konnte meinen Namen von der Tribüne aus hören! Das hat mich sehr beeinflusst, das war sehr emotional. Richtig fokussieren konnte ich mich an Tag 1 nicht, weil die emotionalen Eindrücke so groß waren.
An Tag 2 habe ich das erst realisiert, dass es gar nicht schlecht lief, und bin dann besser reingekommen. Ich hatte ja nichts zu verlieren. Am Ende habe ich einen richtig guten Tag gemacht und den Wettkampf mit 8.075 Punkten beendet.
Emotionalster Wettkampf in Aktivenzeit
Vor allem im Nachhinein betrachtet: Von der Stimmung her war Stuttgart etwas ganz besonderes. Das Stadion war fast immer voll, die Art und Weise wie alle Athleten angefeuert wurden das Wetter war bombe – einfach toll.
Die WM 1993 war der emotionalste Wettkampf in meiner Aktivenzeit. Im Prinzip ist mir völlig egal gewesen, welche Platzierung dabei herauskommen würde, weil das Gesamtpaket, die Wettkampfstimmung, einfach so toll zusammengepasst hat. Wer weiß, ob ich überhaupt mit einer top Vorbereitung besser gewesen wäre. Im Rahmen meiner Leistungsfähigkeit war das schon richtig gut.
Viele Württemberger stemmten die WM hinter den Kulissen
Voller Einsatz wurde von den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern des WLV gefordert. Galt es doch, nicht nur die Wettkämpfe im Gottlieb-Daimler-Stadion vor den Augen der Welt vorbildlich abzuwickeln, sondern auch noch das umfangreiche Rahmenprogramm und das ganze Drumherum zur Zufriedenheit der Gäste aus aller Welt zum Laufen zu bringen. Da gab es zum Beispiel den Sternlauf zur Eröffnungsfeier der WM zu organisieren, die Abnahme des Mehrkampfabzeichens für Jedermann im Stadion Festwiese, den Breuninger-Jugendsport-Club, den WM-Volkslauf, das WLV-Schülerlager in Fellbach, das WM-Jugendlager in Renningen, das WM-Mehrkampflager in Tailfingen, die Trimm-Spiele der Schulen, den WM-Fotowettbewerb, den WLV-Leichtathletik-Treff im Sporthotel neben dem Gottlieb-Daimler-Stadion (heute das Haus der Athleten), das Treffen der ehemaligen WLV-Spitzenathleten und noch vieles mehr. „Die Leichtathletik hat auf dem Land und an der Basis viel gewonnen“ war die Fazit von WLV-Präsident Karl Mangold, und weiter: „Es ist uns gelungen, aus Brotkrümeln einen Kuchen zu backen, welcher zumindest den WLV-Mitgliedern gut eschmeckt hat.“
In die Organisation der Sporttechnik haben von WLV-Seite Tilman Bertsch (Straßenwettbewerbe), Peter Betten (Informationsregie), Hans Dieter Wagler (Mitarbeiterbetreuung) sowie die zwischenzeitlich verstorbenen Hans Joos (Wettkampf-/Aufwärmplätze), Fritz Weber (Geräte/Trainingsstätten) und Harold Gähr (Wettkampfbüro) ihr Knowhow eingebracht. Hauptamtliche Mitarbeiter im Organisationsbüro waren der heutige Leitende Landestrainer der Leichtathletik Baden-Württemberg gGmbH Christian Hummel im Ressort Patenschaftsprogramm sowie der heutige WLV-Geschäftsführer Gerhard Müller im Ressort Sporttechnik. Darüber hinaus waren der heutige Vorsitzende des WLV-Kreises Göppingen, Thomas Mürder (damals Landespolizeidirektion II) als Stellvertreter des WM-Sicherheitschefs sehr eng in die WM 1993 involviert ebenso wie sein Vorgänger als Kreisvorsitzender, Uwe Seyfang. Er hatte im Rahmen der WM für seinen damaligen Arbeitgeber Daimler die besondere Aufgabe übernommen, die Siegprämie der frischgebackenen Weltmeister in Form einer Mercedes C-Klasse an die Frau bzw. den Mann zu bringen.
Lesen Sie die Erinnerungen einiger Mitarbeiter an die Zeit der Leichtathletik-WM 1993:
Thomas Mürder: stellvertretender Einsatzleiter der Polizei
Herr Mürder, wie kam es dazu, dass Sie schon in jungen Jahren als Stellvertreter des Einsatzleiters bei der WM im Einsatz waren?
Ich war 1986 als Polizeioberkommissar bereits in der Vorbereitungsgruppe für die Leichtathletik Europameisterschaften im Stab der Stuttgarter Polizei. Nach weiteren zwei Jahren Ausbildung stieg ich 1992 in den höheren Dienst auf. Nachdem Stuttgart für die WM im Gespräch war, hat mir mein damaliger Chef Günter Rathgeb, Leiter der Stuttgarter Schutzpolizei, noch während meines Studiums an der Führungsakademie nach Münster signalisiert: Wenn Stuttgart den Zuschlag bekommen sollte, dann bräuchte er mich mit meiner Erfahrung vor Ort. Es war damals nicht üblich, nach dem Studium wieder zur gleichen Dienststelle zurückzukommen und ich habe es meinem damaligen Chef zu verdanken, der auch die Verantwortung dafür übernommen hat, dass man einem so 'jungen Kerl' anvertraut, die WM in dieser Funktion zu begleiten.
Klar, hatte ich Respekt vor der Aufgabe. Aber das galt für das gesamte OK: Die Vorbereitungszeit war gedrängt auf etwa ein Jahr. Da hat jeder gewusst: Es liegt ein wahnsinniger Berg an Arbeit vor dir. Aber manche Voraussetzung erleichterte die Arbeit auch. So war zum Beispiel mit Herrn Heinrich Claussen derselbe 'Bürgermeister' für das Athletendorf zuständig wie 1986. Man kannte sich also und er hatte Verständnis für unsere Forderungen für ein sicheres Athletendorf. Er musste aber natürlich sehr früh wissen, was im Einzelnen er beschaffen und bauen muss.
Wie haben Sie das Vorbereitungsjahr aus polizeilicher Sicht erlebt?
Die Stuttgarter Polizei war für die Vorbereitung und die Durchführung des Einsatzes zuständig. Gesamtverantwortlich war Herr Leitender Polizeidirektor Günther Rathgeb, ein ausgesprochen erfahrener Einsatzleiter. Er war auch der Leiter des Ressorts Sicherheit im Organisationskomitee (OK). Dass die Polizei dieses Ressort ausübt, war nicht unbedingt üblich, aber es war für alle Seiten ein Gewinn: So waren stets alle über alles informiert.
Wir haben als Ressort Sicherheit die anderen Ressorts in Sicherheitsfragen beraten aber auch konkret vorgegeben, welche Maßnahmen sie treffen müssen, beispielsweise die Anzahl der benötigten Ordnungsdienste oder wie die Akkreditierung aussehen muss. In beiden Funktionen vertrat ich Herrn Rathgeb und durfte die polizeiliche Vorbereitungsgruppe zur Planung des Einsatzes leiten. Das war ausgesprochen spannend, aber natürlich auch ziemlich anstrengend, zumal ich parallel meine Stelle als zuständiger Inspektionsleiter für die Polizeireviere im Stuttgarter Norden, wozu auch der Cannstatter Wasen zählte, auszuüben hatte. So kam in den Jahren 1992/1993 auch noch der ein oder andere Fußball-Einsatz auf dem Wasen hinzu. Aber als ehemaliger Mittelstreckler hat man ja Ausdauer und ist es gewohnt, an seine Grenzen zu gehen. Ernsthaft, das ließ sich natürlich nur bewältigen, weil ich sowohl als Inspektionsleiter als auch in der Vorbereitungsgruppe hervorragende Vertreter und super Teams hatte. Die Zuverlässigkeit, die Kreativität und die Motivation gerade auch bei den acht Kolleginnen und Kollegen meiner Vorbereitungsgruppe waren beispielhaft. Es machte große Freude und oft auch Spaß in diesem Team zu arbeiten.
Die polizeiliche Einsatzorganisation gliederte sich in verschiedene Abschnitte wie Verkehr, Stadion, Hotels usw. Je näher der Einsatz rückte, um so mehr wurden die dafür Verantwortlichen in die Vorbereitungen eingebunden. Die Arbeit, insbesondere die Regelung von Details wurde also auf deutlich mehr Schultern verteilt. Die Fäden liefen aber alle bei der Vorbereitungsgruppe zusammen und man musste schon darauf Acht geben, den Überblick zu behalten. Über allen unseren Maßnahmen, im polizeilichen Einsatz und im Ressort Sicherheit stand unsere Leitlinie: „So viel Sicherheit wie nötig, so viel Freiheit wie möglich.“
Welche Themenfelder waren damals aus polizeilicher Sicht wichtig?
Folgende drei Themen hatten wir vor allem im Blick:
1) Die Größenordnung der Veranstaltung allein erzeugt bereits Sicherheitsrelevanz: Menschenmassen mit Publikumsströmen, hochrangige Persönlichkeiten, das Verkehrsaufkommen, die Möglichkeit von größeren Unglücksfällen usw. Unser Ziel war bei allem, keine Polizeischau daraus zu machen, sondern als Teil der Gesamtorganisation wahrgenommen zu werden. Wir wollten bei den Bürgern, den Besuchern und Athleten ein gutes Sicherheitsgefühl erzeugen, uns aber nicht in den Vordergrund spielen.
2) Terroristische Lage: Damals war die ausklingende Phase der RAF. Aber noch im Juni 1993 wurde bei der Festnahme von zwei RAF-Angehörigen in Bad Kleinen ein Polizist getötet. Zwar lagen keine Erkenntnisse für irgendwelche Anschlagspläne vor, aber im Kontext der Zeit musste man das aus Sicherheitsgründen einfach mit beachten.
Außerdem: Die Ereignisse von München 1972 waren damals 21 Jahre her. Die Leichtathletik-WM gilt nach den Olympischen Spielen und der Fußball-WM als die drittwichtigste Sportveranstaltung. Damit ist sie für den internationalen Terrorismus geeignet, auf sich aufmerksam zu machen. Ein 'zweites München' darf es aber nicht geben.
3) Berlin hatte sich für die Olympischen Spiele 2000 beworben. In Stuttgart sollte Deutschland zeigen, dass wir internationale Sport-Events machen können. In diesem Kontext wiederum stand die Möglichkeit im Raum, dass die Gegner der Bewerbung (davon gab es genügend) die Veranstaltung nutzen würden, um auf sich aufmerksam zu machen.
Wie haben Sie die WM vor Ort erlebt?
Herr Rathgeb und ich haben uns die meiste Zeit in unserer Befehlsstelle, der Polizeikanzel im Gottlieb-Daimler-Stadion, aufgehalten. Ich will nicht verschweigen, dass ich da natürlich auch die Zeit fand, die ein oder andere sportliche Entscheidung im Stadion zu verfolgen. Das war für mich als Leichtathlet natürlich auch ein Stück Belohnung für ein Jahr harte Arbeit.
Was war Ihr Highlight aus dienstlicher Sicht?
Dass wir einen der größten Polizeieinsätze bis dahin in Baden-Württemberg sehr gut vorbereitet hatten und alles so gut gelaufen ist. „Weltmeister in Sachen Sicherheit“, so hat die Stuttgarter Zeitung uns bewertet. Und dieses Lob haben wir auch von verschiedenen Seiten bekommen. Das lag auch daran, dass wirklich alle, die beim Einsatz dabei waren, großes Herzblut gezeigt haben. Und nicht zu vergessen: Es gehört auch immer eine Portion Glück dazu.
Und was Ihr Highlight aus persönlicher Sicht?
Die tolle Atmosphäre und Stimmung im Stadion. Es war natürlich klar, dass es bei der WM, anders als bei Fußballeinsätzen, keine störenden Gruppierungen unter den Zuschauern geben wird. Aber dass so eine geniale Stimmung aufkommt, war nicht selbstverständlich. Die Athleten haben das Stuttgarter Publikum genossen. Es gab viele Gänsehautmomente, von der Eröffnungsfeier bis zur Abschlussfeier im Athletendorf, an der die Vorbereitungsgruppe auch mitfeiern durfte.
Es war ein großer Fehler der Stadt Stuttgart, das WM-Stadion zu einer Fußballarena zurückzubauen. Die Stadt hat aus meiner persönlichen Sicht damit ihren hervorragenden Ruf als internationale Sportstadt zerstört.
Hier noch drei Kuriositäten aus Thomas Mürders WM-Zeit
Fahrverbot auf der Mercedesstraße
Die Mercedesstraße war von der Hanns-Martin-Schleyer-Halle bis über das Stadion hinaus „WM-Forum“, eine Fußgängerzone mit vielen Verkaufs- und Info-Ständen. Auch dem OK-Chef war es wichtig, dass niemand dort mit dem Auto hineinfahren darf. Darauf haben wir streng geachtet. Auch die VIPs mussten vom Parkplatz zu Fuß zur Haupttribune. Für Bundespräsident Richard von Weizsäcker war dies überhaupt kein Problem. Der damalige IAAF-Präsident Nebiolo wollte sich partout nicht damit abfinden. Wir blieben aber hart. Nachdem der Einsatz vorbei war, habe ich allerdings erfahren, dass trotz unserer Strenge jeden Tag ein Auto vorgefahren ist. Das war der Kollege, der unsere Einsatzverpflegung in die Polizeikanzel gebracht hat. Dieser hat wohl an der Sperrung sehr überzeugend gewirkt.
Falscher Alarm am Start
Kurz vor dem Start eines Straßenwettbewerbs wurde bei der Überprüfung des Stadions auf Höhe der Ziellinie, die in diesem Fall die Startlinie war, ein verdächtiger Gegenstand gefunden, eine Spraydose, umwickelt mit einem Kabel, das augenscheinlich auch in die Dose führte. Eiligst wurden die in Rufbereitschaft befindlichen 'Entschärfer' des Landeskriminalamts als Spezialisten hinzugezogen. Das verdächtige Objekt stellte sich als eine von einem Fotografen selbst gemachte Kabeltrommel heraus, die er am Vortag vergessen hatte mitzunehmen. Der Start zum Straßenwettbewerb konnte pünktlich erfolgen.
Luftschiff für Test-Aufnahmen
Bei der WM war erstmals ein Luftschiff im Einsatz. Man wollte prüfen, ob es für die Bildübertragung oder zum Beispiel als Unterstützung bei Verkehrslenkungsmaßnahmen helfen könnte, natürlich in Ergänzung zum Polizeihubschrauber. Das war schon ein besonderes 'Pilotprojekt', allerdings mit negativem Ergebnis. Interessant war der Versuch aber allemal und wir konnten das Luftschiff auch in unsere Gästebetreuung integrieren.
Gerhard Müller
Nachdem bekannt wurde, dass die Leichtathletik-WM 1993 nach Stuttgart kommt, war es für mich klar, dass ich gerne wieder – wie bereits 1986 bei der Leichtathletik-EM – im Organisationsteam mitarbeiten würde. Gesagt – getan, mit meinen beiden Chefs, Erich Bremicker, dem damaligen WLV-Wettkampfwart und Wilhelm Köster, dem Referatsleiter Wettkampfwesen auf der DLV-Geschäftsstelle, war ich mir rasch einig und so begann ich Anfang 1992 im Dienste des DLV mit der Bezeichnung „Sekretär Sporttechnik“ meine Arbeit im Organisationsbüro als hauptamtlicher Ansprechpartner für den Bereich Sporttechnik. Irgendwie hat sich dies auch an meinem Wohnort Bietigheim-Bissingen herumgesprochen, denn schon bald hat mir der damalige Oberbürgermeister Manfred List, den ich ab und zu zum Brötchenholen beim Bäcker getroffen hatte, zu meiner Aufgabe gratuliert. Er meinte dann noch: „Do kommet se aber au nemme aus de Hosen raus!“ Eine Aussage, an die ich später noch oft denken musste.
Die 20 verbliebenen Monate bis zum Ende der WM vergingen buchstäblich wie im Fluge. Viele positive Begebenheiten und Begegnungen sind im Gedächtnis geblieben. Allerdings kommen mir bei einem spontanen Rückblick immer zuerst die Augenblicke in den Sinn, bei denen mein Adrenalinspiegel in die Höhe geschossen ist (und dies kam nicht selten vor).
Hier also einige meiner Erinnerungen an die WM 1993 in Stuttgart.
Im Zuge der Vorbereitung und Schulung der Kampfgerichte sollte ein sogenanntes „30er-Treffen“ der wichtigsten Mitarbeiter in den Kampfgerichten an einem Wochenende im Oktober 1992 vor der WM stattfinden. Um den hohen Hotelpreisen der Landeshauptstadt Stuttgart zu entgehen, haben wir das Treffen in ein Hotel in meiner Heimatstadt Bietigheim-Bissingen verlegt. Um auch das gegenseitige Kennenlernen etwas zu fördern, habe ich für den Abend noch eine unterhaltsame Weinprobe mit einem örtlichen Winzer und Gastwirt organisiert. In Absprache mit mir hat der Winzer dann am späten Abend die nicht benötigten Weinflaschen in einem Nebenraum des Hotels deponiert, um diese dann am Montag darauf abzuholen. Allerdings haben dies einige aus der Gruppe wohl mitbekommen und zu später Stunde die Weinprobe mit den nicht unerheblichen Restbeständen fortgesetzt. Die Reaktion des Winzers, der seinen gesamten Restbestand inklusive Trockenbeerenauslese komplett geleert vorfand, habe ich dann postwendend lautstark am Telefon über mich ergehen lassen dürfen.
Für die TV-Übertragung der Leichtathletik-WM wurde die Arbeitsgruppe StART’93 gegründet (Stuttgart Athletics Radio Television). StART’93 übernahm die Rolle des Hostbroadcasters und fasste damit ARD und ZDF zusammen. StART’93 produzierte das Weltprogramm, dafür wurde auf den Parkplätzen vor dem Gottlieb-Daimler-Stadion auf einer Fläche von 5.000 qm ein für damalige Verhältnisse gigantisches TV-Zentrum mit Übertragungswagen, Technik-Fahrzeugen, Containern und Zelten errichtet. Insgesamt 65 Stunden wurde von der WM übertragen.
Zwischen StART’93 und dem Organisationsbüro gab es natürlich in vielerlei Hinsicht Schnittstellen, besonders auch zur Sporttechnik. Ich kann mich noch sehr gut an eine Sitzung mit StART’93 erinnern, bei der die TV-Leute den Mitarbeitern des Organisationsbüros stundenlang vorgehalten haben, was noch alles zu erledigen und für das Fernsehen zu organisieren ist und viel Zeit blieb bis zur WM nicht mehr. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir aus dieser Besprechung eine Bemerkung des damaligen SWR-Sportchefs Gerhard Mayer-Röhn, der in Anbetracht der immer länger werdenden ToDo-Liste zu den anwesenden Mitarbeitern des Organisationsbüros sagte: „Mein Gott, in eurer Haut möchte ich nicht stecken...“
Generalprobe mit kleinen Fehlern
Ein weiterer wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur WM waren die Süddeutschen Meisterschaften, die wenige Wochen vor der WM im Gottlieb-Daimler-Stadion stattfanden. Im Rahmen dieser Meisterschaft sollten nicht nur die neuen Wettkampfanlagen im Stadion einem Test unterzogen werden, sondern auch die gesamten Abläufe im Bereich der Sporttechnik geprobt werden. Wie nicht anders zu erwarten, knirschte es an der einen oder anderen Stelle doch erheblich und der eine oder andere Teilnehmer machte aus seinem Unmut keinen Hehl. Schließlich ging dann noch vor dem 110 Meter Hürden-Finale ein heftiger Regenschauer nieder. Dieser brachte die Entwässerung des neuen Stadiondachs schnell an seine Kapazitätsgrenzen. Das überschüssige Wasser, das die Dachentwässerung nicht verkraften konnte, bahnte sich den Weg über die Dachkante nach unten und ergoss sich auf die auf den äußeren Bahnen in den Startblöcken sitzenden Hürdenläufer. Und dies geschah nicht in Form einer Wellness-Dusche sondern eher mit dem Druck aus einem Feuerwehrschlauch. Dem Kornwestheimer Leichtathletik-Chef und Landespolizeipräsident Dr. Sturm entlockte dies die Prophezeiung: „Herr Müller, die Presse wird euch schlachten!“ Nun, soweit kam es dann doch nicht. Erstens wurde die Entwässerung des Daches nachgebessert und zweitens fiel während der Wettkampftage der WM kein Tröpfchen Regen.
In den Tagen vor der WM wurde der Wunsch der deutschen Diskuswerfer an uns herangetragen, die Diskuswurfanlage im Gottlieb-Daimler-Stadion im Sinne eines Heimvorteils testen zu können. Dem sind wir natürlich gerne nachgekommen. In Zusammenarbeit mit der Stadionverwaltung und der Firma Benz Sportgeräte wurde die Anlage extra für die deutschen Medaillenhoffnungen Lars Riedel und Jürgen Schult aufgebaut und hergerichtet, uns so konnten die beiden – was allen anderen Athleten verwehrt blieb – ihre Testwürfe auf der WM-Anlage absolvieren. Der verantwortliche Mitarbeiter der Firma Benz Herr Haas sowie Erich Bremicker (Leiter der Kommission Sporttechnik) und ich selbst standen dabei in der Nähe der Anlage und besprachen die eine oder andere Optimierungsmöglichkeit an der Anlage. Offensichtlich haben wir uns dabei aber in zu großer Lautstärke unterhalten, denn die beiden Diskus-Größen fühlten sich gestört und haben sich heftig über die Unruhe um die Anlage herum beschwert. Anstelle eines Dankeschöns für das Entgegenkommen und den Aufwand gab es stattdessen einen Anpfiff. Spätestens nach Gold und Bronze für die beiden bei der WM war aber auch dies vergeben und vergessen.
Wer zu spät kommt ….
Am 14. August sollte es mit den Wettkämpfen losgehen. Nachdem ich nach der Eröffnungsfeier am Vortag noch einige letzte Vorbereitung getroffen hatte und erst am frühen Morgen den Weg ins Hotelbett fand, wollte ich sichergehen, dass ich auch wieder rechtzeitig in meinem Büro im Stadion war. Deshalb bat ich den Nachtportier, dass er mich doch bitte um 6 Uhr wecken möge, da ich die Sorge hatte, dass ich aufgrund des vorhandenen Schlafdefizits meinen Wecker nicht hören würde. Und es kam, wie es kommen musste: Um 7 Uhr bin ich aus dem Schlaf hochgeschreckt, meinen Wecker habe ich nicht gehört und der Nachtportier hat wahrscheinlich das falsche Zimmer um 6 Uhr geweckt. Ich bin also im Sprintertempo aus dem Bett, in die Kleider und rüber ins Gottlieb-Daimler-Stadion. Die WM fängt ja gut an. Und im Stadion hat schon die nächste Aufregung auf mich gewartet. Der erste Wettkampf war das für 11 Uhr angesetzte 10 Kilometer Gehen der Frauen. Allerdings war die für das Gehen notwendige Disqualifikationstafel zur Anzeige der Verwarnungen und Disqualifikationsanträge durch die Gehrichter nicht auffindbar. Diese Tafel sollte speziell für die WM angefertigt werden. Unzählige Schreiben, Skizzen, Pläne, Kostenvoranschläge und Angebote wurden deshalb in Umlauf gebracht. Offensichtlich hatte sich aber niemand die Mühe gemacht, dann tatsächlich die Beauftragung zu erteilen. Glücklicherweise gab es aber zu dieser Zeit unter den Stadionmitarbeitern genügend schwäbische Tüftler, die innerhalb von Stundenfrist mit dem in den Stadionwerkstätten vorhandenen Material eine (fast) perfekte Disqualifikationstafel aus dem Hut zauberten. „Just in time“ stand diese dann am vorgesehen Platz an der Gehstrecke. Dem schwäbischen Erfindergeist sei Dank! Bei der IAAF muss dieses Problem aber doch irgendwie angekommen sein, denn bereits bei der folgenden Weltmeisterschaft 1995 in Göteborg wurde die Disqualifikationstafel vom IAAF-Dienstleister Seiko in Form einer vollelektronischen Disqualifikationstafel bereitgestellt.
Einen nicht unerheblichen Aufwand verursachte das gesamte Thema „Dopingkontrollen“. Bei der WM in Stuttgart wurden alle Medaillengewinner sowie weitere ausgeloste Platzierte einer Kontrolle unterzogen. Alles, von den Athletenbegleitern bis zum nächtlichen Transport der Proben zum Analyselabor nach Köln per PKW, war generalstabsmäßig durchorganisiert. Jedem war klar, dass in diesem sensiblen Bereich absolut nichts schief gehen darf. Insgesamt gab es während der WM vier positive Proben. Mir ist dann jeweils die Aufgabe zugefallen, den Delegationsleiter des betroffenen Teams im IAAF-Büro mit dem Anti-Doping-Delegierten der IAAF zusammenzubringen. Dabei ist mir einmal ein ziemlicher Lapsus passiert.
Verwechslung ohne Folgen
Eine der positiven Proben betraf im Speerwurf der Männer den zunächst drittplatzierten Usbeken Dmitri Poljunin. Ich musste also den Delegationsleiter der Mannschaft aus Usbekistan ausfindig machen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Aufsplitterung in die verschiedenen selbständigen Nationen lag damals noch nicht allzu lange zurück und die vielen Namen der neuen Nationen waren noch nicht so geläufig. Dies und einige weitere Telefonate, die dazwischenkamen, führte am Ende dazu, dass ich nicht mit dem Delegationsleiter aus Usbekistan, sondern mit dem aus Tadjikistan im Schlepptau ins IAAF-Büro kam. Der Irrtum klärte sich nicht so schnell auf. Der arme Usbeke musste zunächst mal die Gardinenpredigt des IAAF-Delegierten über sich ergehen lassen, bevor endlich klar wurde, dass der Falsche auf der Anklagebank saß. Als ich ihn dann wieder aus den Stadion-Katakomben begleitete, war er schweißgebadet und stöhnte nur: “Tun sie mir das nie wieder an, ich habe Frau und Kinder zuhause.“
Party in der Dopingkontrollstation?
Für die Durchführung der Dopingkontrollen ist bekanntermaßen ein ausreichender Vorrat an Getränken unerlässlich. Dafür war meines Erachtens zur Genüge gesorgt. Deshalb hat es mich schon sehr verwundert, dass schon nach dem zweiten Wettkampftag von den Mitarbeitern der Dopingkontrollstation die Nachricht kam, dass der (für den kompletten Veranstaltungszeitraum vorgesehene) Biervorrat zur Neige geht. Damals war – im Gegensatz zu heute – alkoholhaltiges Bier bei der Dopingkontrolle noch nicht verpönt. Ich will nicht verhehlen, dass ich zunächst den Verdacht hegte, dass das Dopingkontrollteam die Bierqualität in ausgiebigen Selbstversuchen geprüft hat. Ich habe mich dann aber eines Besseren belehren lassen. Bei der Kontrolle der drei Medaillengewinner eines Wurf- oder Stoßwettbewerbs sind schon mal mehrere Kisten Bier erforderlich. Zum einen für den Sofortbedarf vor Ort; die Abgabe der Urinprobe wurde gerne mal so lange es irgendwie geht hinausgezögert. So billig wie bei der Dopingkontrolle war der Stoff für die Party nirgends zu haben und zum anderen kamen aus den überdimensionalen Sporttaschen der Athleten beim Verlassen der Dopingkontrollräume Geräusche, die sich verdächtig nach Flaschengeklapper angehört haben. Und welcher Helfer traut es sich schon, einem Hammerwurfhünen beim Verlassen der Kontrollstation die dort eingesteckten Flaschen abzunehmen???
Den einzigen Wettbewerb der WM, den ich tatsächlich live erleben konnte, war das abschließende Finale über 4x400 Meter der Männer. Gerade noch rechtzeitig, als Schlussläufer Thomas Schönlebe das Staffelholz übernahm und das DLV-Quartett zur Bronzemedaille führte, habe ich es auf die oberste Ebene der Haupttribüne geschafft. Ein überwältigender Eindruck, der Blick in das schönste Leichtathletikstadion der Welt, die vollbesetzten Zuschauerränge, niemand hielt es noch auf dem Sitz und der Höllenlärm, mit dem die Fans die Läufer nach vorne peitschten.
Pünktlich dann zum abendlichen Abschlussfest im Athletendorf setzte der große Regen ein. Der Sommer 1993 war genau auf die Zeit der Leichtathletik-WM vom 13.-21. August terminiert. Keinen Tag zu früh und keinen Tag länger. Nur nichts Unnötiges – wie die Schwaben halt so sind.
Gerhard Müller war zum Zeitpunkt der WM Jugendwettkampfwart beim WLV. Seit 2000 arbeitet er hauptamtlich für den WLV, zunächst als Wettkampfreferent, seit 2005 als Geschäftsführer
Peter Betten - Leiter der Informations-Regie
Die Informations-Regie war verantwortlich für alle Präsentationen auf der großen Videotafel (Videos und alphanumerische Daten) und die Steuerung der Sprecher (national und international).
Die vom Fernsehen bereitgestellten sechs Videokanäle von allen Unterregien (als Clean Feed, d.h. ohne Einblendungen) und dem Weltbild waren perfekt für die detaillierte Information der Zuschauer im Stadion: wir konnten immer selbst das aktuelle Geschehen auf der Tafel darstellen, auch mit den jeweiligen Zeitlupen-Videos.
Mit am Abend zusammengestellten und besprochenen Video-Tagesschnitten konnten wir zu Beginn der Veranstaltung am nächsten Tag die Zuschauer „einstimmen“.
Für die Videotafel-Bedienung, das Video-Studio und den Stadion-Ton stand uns ein kompetentes Team der Technischen Werke der Landeshauptstadt Stuttgart (TWS) zur Verfügung.
Als Grundlage für die Video-Regie und die Sprecher war ein Drehbuch für den jeweiligen Tag in Halb-Minuten-Schritten erstellt worden, mit Eintragungen des Starts und des Endes eines jeden Wettbewerbes und der Zeit-Einplanung für die Siegerehrungen. Die durch das Drehbuch bedingte straffe Regie-Führung behagte den beiden internationalen Sprechern nicht, und wir mussten / konnten unsere Planung und das Konzept gegen die heftigen Einwände des Technischen Delegierten erfolgreich und ohne Änderungen verteidigen.
Für alle Beteiligten war die WM 1993 eine tolle Veranstaltung mit vielen neuen Erkenntnissen, die dann auch für mich und meinen Assistenten Bert Hörhold die Basis für zukünftige nationale und internationale.Veranstaltungen waren.
Peter Betten, gebürtiger Stuttgarter, war nach der Leichtathletik-WM ‘93 noch bei vielen weiteren nationalen und internationalen Leichtathletik-Ereignissen im Bereich der Informations-Regie (heute Event-Präsentation) im Einsatz und unterstützt den WLV bis heute auf dieser Position beim Stuttgart-Lauf
Hans-Dieter Wagler - Leiter Mitarbeiterbetreuung/Einsatzleiter Kampfgerichte
Hier drei Annekdoten aus der Erinnerung von Hans-Dieter Wagler, die eine schnelle Improvisation von der WLV-Einsatzleitung verlangten.
Sergej Bubka provozierte Schiedsrichter im Stabhochsprung-Finale
Auf meinen „Unterstützungsrunden“ im Stadion bemerkte ich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Stabhochsprung-Schiedsrichter Fridwald Wellershoff und Bubka. Auch im nachhinein wusste keiner wie es dazu gekommen ist, denn der erfahrene Fridwald war eigentlich souverän. Egal, ich platzierte unauffällig einen WLV-Kampfrichter um die weitere Entwicklung zu beobachten. Es kam wie es kommen musste, Bubka trieb es auf die Spitze. Er wartete mit dem Anlauf zu seinem Versuch so lange, bis die Zeit abgelaufen war und unser Obmann Ulrich Krieger die rote Fahne hob – Fehlversuch. Bubka hatte auf diesen Augenblick wohl gewartet, rastete aus, hetzte die anderen Athleten und das Publikum, das für ihn lautstark Partei ergriff, auf. Die Konfrontation war eingetreten, wir mussten handeln. Der Kampfrichterwart aus Oklahoma(USA) hatte uns im Info-Center besucht und die tolle Arbeit unserer Kampfrichter gelobt. Warum auch immer, wir wollten uns, wenn etwas Luft war, noch persönlich austauschen und hatten ihn deshalb im Kampfrichterblock untergebracht. Mit Bruno Vogt hatten wir die hoffentlich rettende Idee, ihn auch einzukleiden und als zusätzlichen Kampfrichter „einzuschleusen“. Nach kurzer Information über die Situation brachte ich ihn an die Anlage, kurze Abstimmung mit Fridwald, Begrüßung, drei abgestimmte Worte durch den Oklahoma-Kari. Unsere Karis bemerkten den Grund der Aktion sofort, die Athleten waren erst verblüfft, dann fast begeistert über diese erstmals erlebte „Internationalisierung“. Selbst Bubka hatte so etwas noch nicht erlebt und wurde friedlich. Das Finale lief wieder ohne Probleme zu Ende. Aus den Reihen der Kampfrichter wurden wir für den Einsatz des Amerikaners gelobt. Auch für sie ein einmaliges Erlebnis. Von unseren „Vorgesetzten“ haben wir zu dieser gelungenen Rettungsaktion nichts gehört. Vielleicht hat es keiner bemerkt, denn der US-Kari war wie alle Karis von uns eingekleidet worden So etwas ähnliches wie eine Akkreditierung hatten wir auch noch hinbekommen. Vielleicht waren sie über diese gelungene, kreative Hilfe auch froh. Wir, das Kampfgericht einschließlich Fridwald bekam das beste Zeugnis und er wird darüber in seiner Heimat über diese „Deutschen“ sicherlich positiv berichtet haben.
Fast vergessene Stäbe
Die abgenommenen Stäbe für das Finale wurden von Erich Bremicker, dem Leiter der Kommission Sporttechnik, und mir überprüft und bis zum Transport an die Anlage in der Molly-Schauffele-Halle gelagert. Um den Abtransport wollte sich Erich persönlich kümmern und vermerkt die Zeit auf seinem schon ziemlich langen „To-Do“-Zettel. Ich dachte aus Erfahrung, hoffentlich klappt das auch. Eine Viertelstunde bevor das Einspringen beginnen sollte, bin ich deswegen in die Halle gegangen und war eigentlich nicht überrascht, dass die Stäbe noch da waren. Vor der Halle hatte ich zuvor einen Stadionarbeiterder mit seinem Karren woanders hin wollte „befohlen“ zu warten. Als ich zurückgespurtet kam, hatte er sofort verstanden worum es ging. Gemeinsam haben wir im Akkord die Stäbe aufgeladen und sind dann ab Richtung Anlage. Freunde am Fernseher haben uns dann später für die minutengenaue Abstimmung gelobt. Von einer Seite wurden die Athleten hereingeführt, von der zweiten Seite kam das Kampfgericht und von der dritten Seite wurden die Stäbe hereingefahren. Wir hatten den kürzesten Weg und haben dann sofort begonnen, die Stäbe auf die Ablageständer zu legen. Die Kampfrichter halfen und wunderten sich zuerst, was ich da zu tun hatte. Als die Athleten wenige Momente später eintrafen waren wir auf dem Rückweg aus dem Stadion. Zu einer „sekundengenauer“ Umsetzung bei einer WM sind halt nur die Schwaben in der Lage oder?
Nachakreditierung der Kleidedienst-Helfer
Schon nach den ersten Vorläufen kam der Obmann der Kleiderdienst-Truppe zu uns mit der Bitte schnell etwas zu tun, da der Weg, den seine Leute zurück legen mussten, nicht funktionieren würde. Mit Dauerlauftempo konnten Verspätungen noch vermieden werden, aber es war abzusehen, dass diese Rennerei nicht durchgehalten werden konnte. Wir stimmten uns auf einen geänderten Weg ab, der funktionieren würde. Dazu war die Akkreditierung aber zu ändern. Den offiziellen Weg über die Hierarchiestufen zu gehen, hätte zu lange gedauert. Bis dahin hätten die Verspätungen des Kleiderdienstes den Zeitplan gekippt. Wir mussten sofort handeln. Ich nahm es auf meine Kappe, mit Bruno Vogt sofort die benötigte Akkreditierung mit einem Farbdrucker „herzustellen“. Als wir diese den jungen Helfern aushändigten, hatten wir krasse Konseqenzen angedroht, wenn die „erweiterte“ Akkreditierung in ihrer einsatzfreien Zeit privat genutzt werden sollten. Ganz wohl war uns nicht, aber wir hatten keine andere Wahl. Es kam wie es kommen musste, einer der Helfer konnte der Versuchung nicht widerstehen und wollte auf „neuen“ Weg den Athleten näher sein. Er wurde erwischt, Erich Bremicker informiert und dieser tauchte wutschnaubend bei uns auf, um uns ein Nachspiel anzukündigen. Wir erläuterten ihm kurz und knapp, warum wir keine andere Wahl hatten. Wir nahmen uns den „Sünder“ im beisein der ganzen Truppe „zur Brust“. Die von uns angekündigten Konsequenz, sie alle bei einem abermaligen Verstoßgegen eine bereit stehende Ersatztruppe auszutauschen, hat gewirkt, obwohl diese Ersatztruppe natürlich nicht existerte. Nach dieser Aufregung hörten wir jedenfalls weder in den Tagen danach, noch nach der WM etwas von dieser Geschichte. Ob die Truppe während der WM noch „echte“ Akkreditieren bekommen hat oder ob es bei unseren Ersatzakkreditierung blieb, keine Ahnung. Jedenfalls konnte die Gruppe den „Ersatzweg“ zum Kleidertransport bis zu Ende minutengenau nutzen.
Hans-Dieter Wagler (Nagold) war von 1989 bis 2011 Kampfrichterwart des WLV und darüber hinaus einige Jahre Kreisvorsitzender des WLV-Kreises Calw
Tilman Bertsch - Leiter Straßenwettbewerbe
In der Vorbereitung der Strassenwettbewerbe gab es so manchen Reibungspunkt mit den Mitarbeitern des von der Stuttgarter Messe- und Kongressgesellschaft (SMK) geleiteten Organisationsbüros, da bis kurz vor der Veranstaltung noch manches unklar war. Insbesondere der Standort des Magazins, vorgesehen ursprünglich auf dem kleinen Parkplatz am OSP, wurde dann im ehemaligen Hockey-Stadion, heute Parkplatz des „SpOrt“ mehr recht als schlecht untergebracht. Die Uhrenfahrzeuge sollten im ehemaligen Bahn-Betriebswerk, heute Motorenwerk der Daimler AG, etwas weit ab vom Schuss untergebracht werden. Letztlich einigte man sich auf einen durch Gitter abgesperrten Bereich in der Untertürkheimer Kurve. Das Amt für öffentliche Ordnung (AföO) hatte zwar Einwände, aber Thomas Mürder vom Führungsstab der Polizei war damit einverstanden und überzeugte auch das AföO.
Das Ressort Telekommunikation plante die Funk-Versorgung der Marathonstrecke sowie die notwendige Stromversorgung am Halb-Marathon Punkt. Ausgemacht war, dass im Gebüsch eine 230V-Kabeltrommel aus dem Klärwerk herausgeführt wurde. Dann aber der Schreck: Zu Beginn des Männer-Marathons war das Kabel durchgeschnitten! Auf die Schnelle stellte die damalige TWS zusammen mit Olivetti eine funktionierende Datenübermittlung her!
Es gab aber trotzdem ein Problem, das kurz nach dem Start des Männer-Marathon unerwartet auftauchte: Die ungarische Mannschaftsleitung hatte die Eigenverpflegung für die Läufer zu spät im Athletendorf abgegeben, sie versuchten mit dem offiziellen Fahrzeug diese an die Strecke zu bringen. Nachdem die Polizei davon erfuhr, wurde das Fahrzeug von der Polizei eskortiert. An der Reinhold-Meyer-Brücke wurde die Verpflegung von uns übernommen und in einer wilden Fahrt noch rechtzeitig an die entsprechenden Verpflegungsstellen überbracht!
Noch heute ist in verschiedenen Streckenbereichen die blaue Linie, die Kennzeichnung der idealen Lauflinie, auf der Straße zu erkennen. Im Jahr darnach feierte dann der Stuttgart-Lauf auf großen Teilen der Strecke seine Premiere!
Der Stuttgarter Tilman Bertsch - der Herr der "blauen Linie" – konnte als Leiter Straßenwettbewerbe (Marathon und Gehwettbewerbe) auf seine Erfahrungen in derselben Funktion bei der EM 1986 zurückgreifen. Er ist im WLV bis heute für die Straßenläufe zuständig und stellt auch beim Stuttgart-Lauf seit 1994 ununterbrochen die reibungslose Durchführung der Wettbewerbe sicher.
Uwe Seyfang: Prämienkoordinator für Weltmeister
Der große Höhepunkt im Leichtathletikleben eines kleinen Göppinger Kreisverbands-Funktionärs…
Als Leichtathletik-Fan – damals Kreisstatistiker – hatte ich frühzeitig Eintrittskarten für mich und meine Familie erworben und bei meinem Arbeitgeber Daimler-Benz AG Urlaub eingereicht. Natürlich war mir da schon bekannt, dass die DBAG über ihren Sportmarketing-Bereich die WM 93 (und WM 95) bzw. die IAAF sponsert, indem sie neben dem allgemeinen Fahrdienst rund um Stuttgart und des Athletendorfes Nellingen für alle 40 Einzelsieger einen Mercedes-Benz C-Klasse 180 in Sportausführung und einheitlichem Basiswert als „Car of the World Champions“ mit WM-Logo im Schaltknopf zur Verfügung stellte. Da den Champions die Farb- und Polsterungsauswahl sowie ein Typ- und Ausstattungs-Upgrade zu Sonderkonditionen gewährt wurde, war es logisch, dass die Fahrzeuge erst nach den WM-Gesprächen mit den Champions produziert werden konnten und parallel von den zuständigen Daimler-Exportbereichen in Zusammenarbeit mit dem Sportmarketing die Einfuhr- und Zollbestimmungen abgeklärt werden mussten, was nicht immer einfach war. Symbolisch wurde deshalb allen Champions ein Exklusiv-Modellauto überreicht.
Der DBAG-Sportmarketing-Bereich hatte direkt neben dem Gottlieb-Daimler-Stadion einen Daimler-Benz-Club aufgebaut mit Restaurantbetrieb im Zelt und im Außenbereich, in dem ein Original-Muster-Siegerauto plus ein paar weiteren Modellen und ein kleines Büro-Zelt für die Gespräche mit den Champions standen. Dieses Büro war auch die Dependance für die DBAG-Vertriebschefs, die sehr oft zugegen waren. Zutritt in den DBAG-Club hatten nur wichtige und eingeladene oder angemeldete DBAG-Kunden und Prominente, aber natürlich auch alle „Champs“ mit Gefolge sowie das gesamte DLV-Team.
Das war sozusagen das Konzept von DBAG-Sportmarketing und IAAF und jetzt komme plötzlich ich ins Spiel. Zur Unterstützung des für das Sponsoring verantwortlichen Sportmarketing-Bereiches suchte man intern nach einer Person für die Doppelfunktion Kommunikation (mit Leichtathletik-Kenntnissen) im DBAG-Club und die fachliche Siegerauto-Abklärung im gesonderten Büro-Zelt mit Direktverbindung in die relevanten mir zumeist bekannten Export-Bereiche. Die Wahl fiel auf mich, da konnte ich nicht nein sagen, denn das war von der Aufgabenstellung her eine spannende Sache, die für mich tatsächlich zu einem unvergesslichen Erlebnis werden sollte. Also Karten bis auf einige für die Familie, die dann auch öfters im Stadion und bei mir im DBAG-Club war, im Freundeskreis untergebracht, Gespräche zur Einweisung geführt, Einkleidung bekommen, S-Klasse-Dienstwagen erhalten und als einer der ganz wenigen Mitarbeiter im Organisations-Team mit einer Zugangsberechtigung für alle Bereiche ausgestattet, war ich voller Erwartungen. Aber es war mir auch bewusst, dass das anstrengende Tage und Nächte sein werden und ich von den Wettbewerben kaum etwas original im Stadion, sondern das meiste nur „nebenbei“ im DBAG-Club-TV sehen konnte – sei’s drum, die Begegnungen mit interessanten Leuten aus der DBAG-Kundschaft, aus der Promi-Welt, aus der Fußball-Szene, aus dem Kreis von ehemaligen deutschen Weltklasse-Sportlerinnen und- Sportlern, Sportverbands-Spitzen bis zum IAAF- und IOC-Präsidenten und für mich am wichtigsten und am liebsten die 40 Weltmeisterinnen und Weltmeister, die alle zum Gespräch im Zelt-Büro saßen und manche auch noch beim Essen und Small-Talk im Zelt oder der Außenanlage – das war schon sehr beeindruckend für den kleinen Funktionär aus der Provinz Göppingen.
Bevor ich zu einigen Anekdoten aus diesen Tagen komme, zum besseren Verständnis ein paar Worte zu meinen Aufgaben. Die DBAG hatte für seinen Club ständig ein TV-Filmteam mit Interviewer, den Sport-Fotografen Klaus Kärcher und den Promi-Fotograf Christoph R. Sage vor Ort, denen ich hin und wieder „who is who“-Tipps aus der Welt der Leichtathletik geben konnte. Mir oblag zwar nicht die Eingangskontrolle in den Club, aber die Begrüßung und eine Small-Talk-Runde oder auch mal eine Essens-Begleitung. Nach den jeweiligen Finals im Stadion musste ich im Sauseschritt die Champions vor der Siegerehrung abfangen und mit ihnen den Gesprächstermin für den Bürobesuch bei mir vereinbaren. Beim Bürotermin, teilweise nachts, ging es um die Aufklärung über die Bedingungen und Spezifikationsfestlegungen für das noch zu produzierende Sieger-Fahrzeug. Ein “Muss“ war auch für alle die Signatur auf dem Musterfahrzeug vor dem Büro, das später nach einer Ausstellungsrunde in den DBAG-Niederlassungen zu einem guten Zweck versteigert wurde.
Für mich ging die offizielle WM mit der Sitzung den Mannschaftsleitern aller Teilnehmer-Länder in der Liederhalle los. Dort wurde ich in die erste Reihe nahe zu DLV-Präsident Digel gesetzt und nach den Instruktionen durch den IAAF-General Secretary Gyulai aufgerufen und aufzustehen, damit alle Ländervertreter mich sehen konnten und wissen, dass es Pflicht für alle SiegerInnen ist, zu mir ins Büro zu kommen, sonst läuft man Gefahr, den Siegerpreis „Auto“ zu verwirken. Das hat meine Wichtigkeit im kommenden Job ungemein gestärkt.
Es war schön zu hören, dass mein damaliger Kreisvorsitzender (und heutiger Nachfolger auf meine letzten 15 Jahre Kreisvorsitz) mit drei Zügen der Bereitschaftspolizei für die Sicherheit bei der WM zuständig ist und wir als Kreis auch noch mit 5 Kampfrichtern vertreten sind.
Die Eröffnungsfeier mit Dieter Baumann und Chris de Burgh konnte ich leider nicht live erleben, da ich schon „Dienstpflicht“ im DBAG-Club hatte…
Unvergesslich, wie ich mich zum 100m-Finale der Männer aus dem DBAG-Club abmelden konnte, um live beim Zweikampf Carl Lewis und Linford Christie im Stadion direkt an der Tartanbahn hautnah dabei zu sein – es war gigantisch! Und bei der späteren Siegerehrung hatte ich eine ganz besondere Aufgabe – Linford Christie sollte auf dem Podest ein ganz besonderes Mercedes-Modellauto erhalten und so saß ich für einige Zeit mit DBAG-Vertriebsvorstand Hubbert, IAAF-Präsident Nebiolo und IOC-Präsident Samaranch zusammen mit diesem Auto unterm Arm im Warteraum bis zum Aufruf zur Siegerehrung und trug dieses dann hinter den hohen Herren bis an die Tartanbahn, um es dann Herrn Hubbert zu übergeben.
Das Wetter war vom ersten bis zum letzten Tag traumhaft und es herrschte täglich eine sagenhafte Stimmung im Stadion, ebenso auch in der Stadt. Wehmut nach dem Schlusstag im Stadion und dem Abschiedsfest in Nellingen, bei dem ich bis weit nach Mitternacht mitfeiern durfte, kam natürlich auch bei mir auf. Aber für mich stand noch ein Bürotag aus für zwei Champions des Schlusstages, nämlich Trine Hattestad (Speer) und Haile Gebrselassie (10.000m) – was für ein besonderer Tag! Es hat gegossen, war kalt und überall um uns herum wurde abgebaut. Das tat mir Leid für zwei so sympathische Champions, aber es musste noch sein und wir hielten tapfer durch.
Obwohl alle Champions über ihre Siegerpreise glücklich und zufrieden waren, haben doch einige, insbesondere aus den USA auf eigene Kosten gewaltig „upgegradet“, während die Kenianer, Kubaner, Russinnen und Chinesinnen bescheiden sein mussten und froh waren, dass die Daimler-Export-Verantwortlichen damals nach teils zähen Verhandlungen Zollfreiheit erreichten. Nur bei Trine Hattestad aus Norwegen gab es meines Wissens letztlich Probleme, für die die DBAG und die IAAF gemeinsam aufkommen musste.
Als Linford Christie mit seiner Lebensgefährtin bei mir im Büro war, erklärte er, dass das Auto ein Geschenk an sie sei und sie die Ausstattung vornehmen soll. Das tat sie dann ausgiebig und Linford saß geduldig still dabei, bis er dann irgendwann kundtat, dass sie ihn ja arm machen würde – netter Scherz eines Großverdieners…
Weitsprungsieger Michael Powell brachte seine Mutter mit, der er das Auto im Büro schenkte und die total gerührt war.
Überhaupt waren die Bürotermine und Rundgänge um das Musterauto mit Erklärungen von Ruhe und Aufmerksamkeit und Lockerheit geprägt, auch wenn ab und an Dolmetscher-Dienste gefragt waren (Chinesisch, Japanisch, Russisch).
Und zu guter Letzt – während der rauschenden Abschiedsparty auf dem DBAG-Clubgelände hatte Merlene Ottey ihrem italienischen Freund Stefano Tilli (100 und 200 Meter) ein MB Cabrio als Überraschung zu dessen Geburtstag am 22.8.93 geschenkt!
Bemerkenswert, dass so einige der frischen Champions noch nicht mal einen Führerschein hatten und diesen in der Zeit der Fahrzeug-Produktion bis zur Zustellung erst machen mussten, um in den Genuss des weltmeisterlichen Mercedes zu kommen.
Für mich als bescheidener Mitarbeiter war es schon faszinierend, wer alles in den Club kam, wer mit wem ein Wiedersehen feierte (unser Harald Schmid mit Kevin Young), wer mit wem echt freundschaftlich verbunden war (Heike Drechsler und Jackie Joyner-Kersee), interessant zu sehen, wie die einstige 100 Meter-Weltrekordlerin Wilma Rudolph (11,2 Sekunden am 19.7.61 in Stuttgart) von den Nachfolgegenerationen hochverehrt ist, oder zu sehen, wie die USA-Athletinnen und Athleten ihre Siege – größter Spaßvogel zweifellos Mike Conley – feiern konnten und beim Abschiedsfest sogar die reservierten Russinnen und Chinesinnen aus sich herausgingen oder der extrovertierte Linford Christie (GBR – 100 Meter) die schüchterne Junko Asari (Marathon) aus Japan in den Arm nahm und ihr ein Lächeln entlockte. Auch Fußballer fühlten sich wohl im Club (Matthäus, Klinsmann, Buchwald, Berthold). Es galt Völkerverständigung im Zeichen der Leichtathletik.
Was mich wunderte – außer einer Teamsitzung des DLV im Außenbereich des Clubs und einem Ausflug des ganzen DLV-Teams ins Oldtimer-Zentrum nach Fellbach, war von DLV-Einzelbesuchern – ausgenommen natürlich Heike Drechsler (Weit) und Lars Riedel (Diskus) als ganz angenehme Gesprächspartner – im Club wenig zu sehen. Vielleicht waren sie mehrheitlich bei einem mir unbekannten WLV-Treffpunkt auf der anderen Seite des Stadions anzutreffen? Aber an einen Vierertisch im DBAG-Club erinnere ich mich noch genau, denn da saßen u.a. Tim Lobinger (Stabhoch) und Petra Laux (Dreisprung), was schließlich in die Ehe führte. Mein bester und häufigster Gesprächspartner im Club war Dan O’Brien, ein super Zehnkämpfer und toller, interessanter Mensch! Hocherfreut war ich über den Besuch von Karl Honz, einstiger 400-Meter-Europameister, der einige Zeit im Kreis Göppingen lebte und den ich später noch hin und wieder traf.
Es gehört auch zu den Anekdoten, dass ich einige der WM-Champs später noch persönlich beim Letzigrund-Meeting in Zürich traf oder über Peter Schramm Javier Sotomayor beim Eberstädter Meeting mit gelegentlicher Besorgung von MB-Ersatzteilen. Am längsten hielt die Verbindung zu Werni Günthör, dem Schweizer Kugelstoß-Weltmeister mit einigen gegenseitigen Besuchen bis zum bitteren Ende des Weltfinales in Stuttgart und damit dem traurigen Ende der Leichtathletik-Rundbahn und der unnachahmlichen Stimmung im Stadion und der nachfolgenden Umwandlung in ein reines Fußball-Stadion.
Die ganze Geschichte der Leichtathletik-WM 1993....
…. nachzulesen im Jahrbuch des WLV 1993 (Stuttgarter WM-Skizzen von Dr. Hanspeter Sturm) und im WLV vor Ort, Ausgabe 9/10-1993 (u.a. mit dem WM-Tagebuch von Ursula Kaiser)