50 Jahre erfolgreiche Leichtathletik-Geschichte in Pliezhausen
Der Startschuss für die Pliezhäuser Leichtathletik-Geschichte erfolgte mit einem Kuriosum. Weil die rund 25 Leichtathleten des SV Pfrondorf bei der Tübinger LG kurz vor Weihnachten 1969 einen „Korb“ erhalten hatten, machten sie sich auf den Weg ins Neckartal und wurden fündig. Unter Leitung von Werner Hamann, dem ehemaligen Zonenliga-Stürmers beim SV 03 Tübingen, Sportlehrer Roland Braun (beide Pfrondorf) und Rektor Kurt Deile (Pliezhausen) gründeten sie am 20. Januar 1970 die LG Pfrondorf-Pliezhausen. Es war der Start in eine halbes Jahrhundert Erfolgsgeschichte.
Mit sportlichen Erfolgen und über 200 Veranstaltungen lockten sie zahlreichen Spitzenathleten an den Schönbuchrand und legten so eine nachhaltige Spur in der deutschen Leichtathletik. „Leichtathletik in Pliezhausen hat eine Tradition der besonderen Art“, lobt DLV-Präsident Jürgen Kessing den Standort, „insbesondere das jährliche Läufermeeting genießt einen sehr hohen Stellenwert“.
Die die Einweihung der Kunststoffbahn im Schönbuchstadion 1972 war spektakulär, nur Stuttgart, Sindelfingen und Heidenheim hatten im Württembergischen eine solche Anlage. Es war die Initialzündung für einen steilen Aufschwung.
Die Geschwister Heidelinde und Christa Xalter bescherten dem in LG Schönbuch umbenannten Vereins ab 1972 mit sechs deutschen Meisterschaften außergewöhnliche Erfolge. „Pliezhausen umjubelt Meistermädchen Heide und Christa“ stand in den Zeitungen, bevor Heidelinde 1975 auf dem Stuttgarter Killesberg als 17-Jährige sensationell Deutsche Hallenmeisterin der Frauen im Weitsprung mit 6,36 Meter wurde. Ein Novum: mit Erni, Petra, Heidelinde und Christa wirbelten in dieser Zeit gleich vier Xalter-Schwestern über die Kunststoffbahnen.
Herbert Mutschler (Bestleistung 10,3 Sek.) wurde 1979 in Bydgoszcz Junioren-Europameister mit der deutschen 4x100 Meter-Staffel und somit ein Sprintkomet, der mit seinen 10,3 Sek. bis heute schnellster der Region über 100 Meter.
Viele Großveranstaltungen
Neben den sportlichen Erfolgen machte sich Pliezhausen früh auch einen Namen als Ausrichter von Großveranstaltungen. Der spätere Weltrekordler und Olympiazweite Guido Kratschmer im Schönbuchstadion 1975 gastiert beim Zehnkampf-Länderkampf Deutschland gegen Rumänien. „Die entspannte Atmosphäre hat mich zu überraschenden 8005 Punkten beflügelt“, sagt Kratschmer im Rückblick.
Die Pliezhäuser Organisatoren zeigten großes Engagement bei zahlreiche Landesmeisterschaften, die Länderkämpfe Württemberg gegen Katalonien (1986) und Württemberg gegen die Midlands (1993) brachten internationales Flair. Längst zum Markenzeichen für Pliezhausen geworden ist das „Meeting der krummen Strecken“, das seit nunmehr 34 Jahren eine besondere Stellung in der deutschen Leichtathletikszene besitzt.
Nationale und internationale Spitzenathleten kamen bis heute ins Schönbuchstadion: die Olympiasieger Nils Schumann und Dieter Baumann, Sprinterin Melanie Paschke, Weltklasse-Sprinter Emanuel Tuffour (Ghana), Junioren-Weltrekordler Japhet Kimutai (Kenia), Marathon-Weltrekordler Patrick Makau (Kenia), der polnische 800 Meter-Europameister Marcin Lewandowski, 400 Meter- Europameister Ingo Schultz, Marathon-Rekordhalter Arne Gabius, sowie die beiden aktuellen deutschen Laufstars Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh und viele mehr waren da.
1991 fiel mit dem Leichtathletik-Streit dann ein Schatten auf die Pliezhäuser Leichtathletik-Geschichte. Aus der demografischen Veränderung Pliezhausens durch die Anbindung an die B27 wuchs die LG Schönbuch rasch auf 180 Mitglieder, was zu einem Richtungsstreit zwischen Leistungs- und Breitensport führte. Folge: die Spaltung der LG, aus der der LAC Pliezhausen hervorging, auch ein Startschuss für heftige Auseinandersetzungen, bei denen die „Fetzen“ flogen. Zwei Leichtathletik-Vereine in einem Ort mit 8000 Einwohnern ist ein Novum in der deutschen Leichtathletik-Geschichte. Erst 20 Jahre später wird die Trennung überwunden, die LG Schönbuch und der LAC Pliezhausen gehen im neuen Verein LV Pliezhausen 2012 auf.
Pliezhausen wird Mittelstreckenhochburg
Pliezhausen wurde zu einer Mittelstreckenhochburg, insgesamt 15 deutsche Meister-Titel gingen an den Schönbuchrand. In den 90er Jahren holten Benjamin Buck, Filmon Ghirmai und Tobias Ott bei den deutschen B-Jugendmeisterschaften in Rhede zwei Gold- und eine Silbermedaille im Trikot der SG Gomaringen-Pliezhausen und zudem den DM-Titel im Cross. Hürdenläuferin Dinah Hofmann als Junioren-EM-Teilnehmerin und Alice Reuss, deutsche Juniorenmeisterin über 100 Meter, sind ebenfalls Vorzeigeathleten.
Hindernisläufer Filmon Ghirmai avanciert zum Aushängeschild des LAC Pliezhausen. Der aus Eritrea stammende Sympathieträger mit den Rastlocken gewinnt 2002 in Wattenscheid seinen ersten Deutschen Meistertitel und wird 2007 Europacup-Sieger im Münchner Olympiastadion. Insgesamt wird Ghirmai fünf Mal deutscher Meister im LAC-Trikot und für die LAV Tübingen. Matthias Walker, Flo Vek und Flo Neu holen im Jahr 2000 in Regensburg völlig überraschend den Titel eines deutschen Jugendmeisters im Cross.
Mit dem amtierenden Weltrekordler Mike Powell (USA), dem ehemaligen Hürden-Weltrekordler Colin Jackson (Großbritannien) und 800 Meter-Weltrekordlein Jarmila Kratochvilova (Tschechoslowakei), tauchen drei schillernde Figuren im Schönbuchstadion auf: Kratochvilova, deren Weltrekord bis heute als dopingverdächtig in den Annalen steht, als Trainerin, Powell und Jackson begeistern rund 150 Kinder bei einem Showtraining.
Die krummen Strecken werden zudem zur „Wiege“ des Frauen-Hindernislaufs in Deutschland. Doppel-Europameisterin und zweimalige WM-Dritte Gesa-Felicitas Krause, Europameisterin Antje Möldner und die deutsche Crossmeisterin Elena Burkard starten in Pliezhausen ihre Hindernis-Karrieren. Krause läuft sogar deutschen Rekord in Pliezhausen.
2018 findet 46 Jahre nach Einweihung des Schönbuchstadions erstmals eine Deutsche Meisterschaft (10.000 Meter) in Pliezhausen statt, die 2020 am 9. Mai eine Neuauflage erfährt. Einen Tag später (10. Mai) folgt die 31. Auflage des Internationalen Läufermeetings.
„Ohne das Ehrenamt und die Sponsoren gäbe es das 50. Jubiläum in Pliezhausen nicht“, dankt DLV-Präsident Kessing den engagierten Machern und Helfern sowie der Gemeinde im Hintergrund.
Die verschmähten Pfrondorfer schrieben an der Erfolgsgeschichte mit. Gründungsmitglied Ewald Walker, fußballerisch als Offensivverteidiger beim SV 03 Tübingen in Aktion, war nach Werner Hamann und Roland Braun als LG-Boss über 11 Jahre am Ruder und ist bis heute in Sachen Öffentlichkeitsarbeit im Einsatz. Heinz Gugel drehte als Technischer Leiter am Rad mit.